Als ich im Sommer 2008 das erste Mal nach Japan zog, wollte ich neben dem Modeviertel Harajuku auch unbedingt Akihabara besuchen. Akihabara wird oft als das Mekka für Liebhaber von Anime und Manga bezeichnet. Ich bin mir nicht sicher, ob das 2008 der Realität entsprach, aber im Jahr 2021 muss ich zumindest ein wenig einschränken:
Akihabara ist hervorragend für männliche Fans von Anime und Manga, die in den letzten Jahren erschienen sind. Die Betonung liegt hier auf “männlich”, denn es gibt zwar mehr als genug Darstellungen von weiblichen Körpern, aber Sachen für Frauen sind eher rar gesät.
Deswegen liegt seit Jahren das Augenmerk weiblicher Otakus auf Ikebukuro, genauer gesagt auf der Otome Road.
Otome (乙女) bezeichnet eine junge, für gewöhnlich unverheiratete Frau.
Die Otome Road (乙女ロード) ist einerseits tatsächlich eine Straße in der Nähe des Einkaufskomplexes Sunshine City, andererseits werden aber auch sonstige Läden, die zwischen Sunshine City und Bahnhof Ikebukuro liegen, zu ihr gerechnet.
Und tatsächlich: In Akihabara hat man manchmal das Gefühl in einer postapolakyptischen Welt zu leben, in der die einzigen überlebenden Frauen gezwungen werden, in Maid Cafés zu arbeiten. Auf der Otome Road sind wir zahlreich und frei – ein wahres Utopia. 😉
Es gibt auf der Otome Road die verschiedenen Ketten, die man auch aus Akihabara kennt: Lashinbang (らしんばん), Toranoana (とらのあな), Animate (アニメイト), Surugaya (駿河屋), Mandarake (まんだらけ) und K-Books. Nur das Angebot ist ganz anders fokussiert.
Es gibt einerseits im begrenzten Rahmen so genannte Shōjo-Manga (少女漫画), in denen es meist relativ keusch um hetereosexuelle Beziehungen aus Sicht des Mädchens oder der jungen Frau geht.
Dann gibt es Boys’ Love (BL), Manga in denen es oft nicht ganz so keusch um Beziehungen zwischen Männern geht. Während dem Genre in Akihabara nicht allzu viel Platz gewidmet wird, kann es sich z.B. im großen Animate in Ikebukuro so richtig ausbreiten. Apropos ausbreiten: Die Läden in Ikebukuro sind meist sehr viel geräumiger als ihre Ableger in Akihabara!
Mehr: Drei Manga mit Boys’ Love drin.
Das größte Genre, mit dem man in Ikebukuro fast erschlagen wird, sind Shōnen-Manga (少年漫画), also Manga für Jungs. Moment, war Ikebukuro nicht das Akihabara für Frauen? Ja. Erstens können Frauen lesen, was sie wollen, und zweitens gibt es zu vielen bekannten Serien unglaublich viel Sekundärliteratur von Fans.
Um es kurz zu machen: Fangezeichnete Manga (Dōjinshi 同人誌) in denen die die (männlichen) Charaktere in verschiedenen Kombinationen verbandelt werden. Entsprechende Druckerzeugnisse gibt es bei Lashinbang und Toranoana fein säuberlich nach Ursprungsmanga, -anime oder -spiel und vorkommenden Charakteren sortiert.
Diese Zweitverwertung von Charakteren wird übrigens meist nicht strafrechtlich verfolgt, es lohnt sich einfach finanziell nicht und wäre wegen der reinen Masse an Material höchst aufwendig. Außerdem befeuern Dōjinshi die Nachfrage nach offiziellem Merchandise usw. noch einmal. Sie helfen auch dabei, den Hype um eine Serie nicht zu schnell abflauen zu lassen. Vor allem bei Anime, die nicht auf einem Manga basieren, gibt es zwischen den einzelnen Staffeln Leerlauf, der mit Dōjinshi überbrückt werden kann. Eine Win-Win-Situation, irgendwie.
Mehr: Dōjinshi: Manga von Fans für Fans.
Das ganze Merchandise zu den Serien bekommt man in Ikebukuro natürlich auch. 🙂
Ich persönlich find Ikebukuro sehr angenehm. Die Läden sind in den meisten Fällen nicht ganz so eng, wie es in Akihabara schnell mal werden kann, und die Klientel insgesamt kam mir auch entspannter vor. Für ältere Manga und Anime gilt aber weiterhin, dass man sein Glück am besten im Nakano Broadway versuchen sollte.
Mehr: Nakano Broadway: Ein Paradies für alle Anime-Fans.
Und Vorsicht: Einige Läden, z.B. der große Animate, öffnen unter der Woche erst um 12 Uhr mittags!