Relativ oft werde ich von Japanern ungläubig gefragt, warum ich mir denn ausgerechnet Japan als Wohnort ausgesucht habe. Das wäre wahrscheinlich bei einem Japaner in Deutschland recht ähnlich: “Warum bist du in Deutschland? Es gibt doch viel schönere Länder?”
Ich bin weder in den falschen Flieger gestiegen, noch hat mein Mann mich aus Berlin gekidnappt und verschleppt. Indianerehrenwort! 😉
Angefangen hat alles wahrscheinlich mit Pokémon und Digimon. Heute weiß ich natürlich nicht mehr, ob ich damals realisierte das beides aus Japan kommt. Die Namen der meisten Charaktere wurden für die deutsche Version geändert, und “Ash Ketchum” ist nun wirklich kein typisch japanischer Name. 😉
Irgendwann zwischen dem letzten Jahr in der Grund- und dem ersten Jahr in der Oberschule begann ich, Manga zu lesen. Am ehesten erinnere ich mich an X/1999, Nana, Ayashi no Ceres und Chobits. Tatsächlich las ich aber noch viel mehr. Fast zeitgleich eröffnete das Neo Tokyo, ein Laden für Manga, Anime und japanische Musik, in Berlin. Für mich war der erste Besuch dort absolut umwerfend und faszinierend!
In diesem Laden versammelten sich damals viele Mädchen wie ich, obwohl ich sicher eine der jüngeren war. Und eine der sorgloseren. Viele hatten Probleme mit ihrem Elternhaus, einige wohnten in betreuten WGs. Allen gemein war die Liebe für Visual Kei, vor allem Dir en Grey. Rückblickend muss ich sagen, dass ich nicht mehr verstehe, was ich an der Musik so toll fand – die Texte verstand ich schon mal nicht. 😉 Aber ich hatte Freunde gefunden, die dieselben Interessen hatten wie ich. Success!
Von da an war mir Japan unglaublich wichtig. Ich begann an der Volkshochschule Japanisch zu lernen, und in dieser Zeit lernte ich über das Internet einen in Berlin geborenen Japaner kennen, mit dem ich über die nächsten vier Jahre stark freundschaftlich verbunden war. Ebenjener japanischer Kumpel brachte mich dem echten Japan, abseits von Anime und Manga, natürlich um einiges näher. Sowohl すき焼き (Sukiyaki) als auch japanisches Curry aß ich zum ersten Mal mit ihm zusammen, und sie sind noch immer meine Lieblingsgerichte.
An die genauen Umstände erinnere ich mich leider nicht mehr, aber ich begann schließlich japanische Gothic Lolita-Mode zu tragen. Ein Glück, dass die Fotos davon alle verschwunden sind. 😀 Es gibt Leute, die das tragen können und super gut aussehen – ich gehöre nicht dazu. Über Animexx fand ich andere junge Frauen in Berlin, die dieselbe Mode trugen, und mit einigen stehe ich noch immer in Kontakt. Zu Konzerten ging ich auch, z.B. zu Miyavi in Bonn, wo meine Freundin Melissa (die jetzt einen YouTube-Kanal und Fans hat – super eigenartig!) ohnmächtig umfiel.
Tatsächlich wurde ich sogar einmal in der Schule im Unterricht von meiner Lehrerin gefragt, ob ich über nichts anderes als Japan reden könne. Ja, ich war diese Person. Es gibt sicher schlimmere Japanfans als ich es damals war, aber so ganz harmlos war ich auch nicht.
Nach der Schule wollte ich unbedingt Working Holiday in Japan machen. 🙂 Also habe ich gejobbt, und bekam den Flug zum 18. Geburtstag geschenkt. Ende Juli 2008 landete ich in Tokyo.
Heute bin ich natürlich nicht mehr so sehr nach Japan verrückt, wie damals. Zwar wusste ich schon vor meinem Working Holiday, dass auch Japan nur ein ganz normales Land ist, aber fasziniert war ich natürlich trotzdem. Es gibt auch heute noch Situationen, in denen ich merke, wie anders – und ja, manchmal auch besser – Japan ist. Nur ist anders jetzt normal.
Trotzdem erinnere ich mich nicht nur mit einem peinlich berührten Gefühl an meine Zeit als Japan-Fan. Die Freundschaften, die darüber entstanden sind, sind großartig. Meine Ehe auch, und die verdanke ich ja wohl auch ein wenig meinem komischen Teenager-Ich, oder? 😉
Liebe japanbegeisterte Leser: Warum? 😀