Seit 1961 laufen beim japanischen öffentlichen Fernsehsender morgens die sogenannten Asadora (朝ドラ). Der offizielle Name lautet Fortsetzungs-TV-Roman (連続テレビ小説 Renzoku Terebi Shōsetsu), in Deutschland ist das Genre eher unter dem Namen Telenovela bekannt. Eine Folge ist nur 15 Minuten lang, dafür läuft die Serie statt der üblichen etwa zehn bis 14 Folgen ein halbes oder ganzes Jahr.
Die Serien wenden sich vor allem an Frauen und ältere Menschen, und behandeln vor allem typische Frauen-Themen: Familie, Liebe, Karriere und soziale Probleme. Außerdem befassen sie sich immer wieder mit der japanischen Geschichte.
Bisher hatte ich mir noch keine einzige dieser Serien angesehen, aber dann kamen (mal wieder) zwei Dinge zusammen, die mich aufhorchen ließen: Gleichberechtigung und Yonezu Kenshi, mein liebster japanischer Musiker, der das Titellied beisteuerte.
Und so begann ich “Tora ni Tsubasa” (虎に翼, Flügel für den Tiger) zu gucken.
Genau wie in Deutschland wurden Frauen auch in Japan lange Zeit vor dem Gesetz als Menschen zweiter Klasse behandelt. Verheiratete Frauen galten als geschäftunsfähig, ohne Zustimmung ihres Mannes durften sie weder einer Erwerbstätigkeit nachgehen noch ihr eigenes Vermögen verwalten. Nicht, dass unverheiratete Frauen es besser gehabt hätten: Für sie galt das Wort ihres Vaters.
Die Serie handelt davon, was das für Auswirkungen hatte und vor allem, wie es sich änderte.
Die 1914 geborene Tomoko steht kurz vor dem Abschluss an der Frauenoberschule (die Schulen waren bis in die 1960er nach Geschlecht getrennt). Der perfekte Zeitpunkt, um einen Mann für sie zu finden. Nur leider ist Tomoko am Heiraten wenig interessiert, dafür informiert sie sich über die Welt und hält mit ihren eigenen Meinungen nicht hinter dem Berg. Nicht, dass das mögliche Bräutigame das als Pluspunkt werten würden.
Als sie eines Tages durch Zufall einer Rechtsvorlesung lauscht und hört, dass Frauen als juristisch inkompetent gelten, ist sie schockiert. Endlich versteht sie, warum ihre Mutter, die sonst das Zepter fest in der Hand hält, sich in der Gegenwart von männlichen Gästen klein macht. Auf Einladung des Professors bewirbt sie sich für den neu gegründeten Jura-Studiengang für Frauen. Dabei erfährt sie zwar Unterstützung von ihrem Vater, aber sowohl Tomokos Lehrerinnen an der Oberschule als auch ihre Mutter machen sich Sorgen, ob das wirklich der richtige Weg für sie ist.
Ich persönlich finde “Tora ni Tsubasa” unglaublich spannend, weil es ein Thema ist, mit dem ich mich vorher gar nicht beschäftigt hatte. Natürlich wusste ich irgendwo, dass auch in Japan nicht immer Gleichberechtigung herrschte, aber ich hatte mir nie Gedanken gemacht, wie das in der Realität aussah.
Wir haben das Glück, in einer Zeit zu leben, in der wir zumindest vor dem Gesetz gleich sind. Das ist sowohl in Japan als auch in Deutschland eine erstaunlich neue Entwicklung.
Mehr: Geschlechtergerechtigkeit in Japan – Und bei uns zuhause.
Nun gibt es zwei Arten, die Entscheidung eines öffentlichen Fernsehsenders, genau diese Thematik zu behandeln, einzuordnen: Die negative Sichtweise wäre, dass man Frauen vor Augen führen möchte, wie gut wir es haben, auf dass wir doch endlich aufhören, uns zu beschweren. Ich entscheide mich aber für die positive Sichtweise: Dinge, die wie in Stein gemeißelt wirken, können sich ändern. Wir können sie ändern, wenn wir hinterfragen und aufzeigen, wo wir eine Diskrepanz zwischen Lebensrealität und Gesetzeslage sehen.
Ich freue mich auf jeden Fall, dass der Fernsehsender NHK diesen Geist des Aufstands jeden Morgen in die Wohnzimmer Japans sendet. Und das Titellied ist natürlich auch fantastisch.
“Flügel für den Tiger” ist übrigens ein chinesisches Sprichwort, das bedeutet, eine bereits starke Person o.Ä. noch stärker zu machen. Wie, wenn man einem Tiger auch noch Flügel verpasst.
Das hört sich wirklich spannend an. Wir erleben im Moment einen Fall in der Familie, Mann 70 Jahre alt ganz plötzlich verstorben. Witwe steht völlig ratlos im Leben, weil ihr Mann ihr 48 Jahre gesagt hat, was sie darf oder nicht darf. Selbst von der Arbeit telefosche Kontrolle, nicht arbeiten gehen dürfen, den Sohn kontrollieren. Keine Computer oder Handys. Es gibt so viele Beispiele.
Ich konnte es gar nicht fassen, dass es in der heutigen Zeit noch so etwas gibt. Dass sie sich nicht gewehrt hat. Kein Selbstwertgefühl, das hat der Mann ihr genommen.
Ich fand es damals schon so spannend in der Schule, als es um die Frauenbewegung ging. Und das Lied hat was 🙂