Geschlechtergerechtigkeit in Japan – Und bei uns zuhause.

Eines vorweg: Ich berichte hier bewusst von durch Umfragen u.ä. ermittelte Durchschnittswerte und meinem eigenen Zuhause. Weder bilde ich mir ein, dass mein soziales Umfeld den Durchschnitt Japans abbildet, noch möchte ich eine Diskussion über wahrgenommene Geschlechtergerechtigkeit lostreten.

Japan ist nicht dafür bekannt, bei der Geschlechtergerechtigkeit sehr fortschrittlich zu sein – Eher im Gegenteil. 2023 war es das 125. von 146 Ländern beim Global Gender Gap Index. Vor allem in der Politik sind Frauen stark unterrepräsentiert, aber auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist schwieriger als in anderen OECD-Ländern.

Wir sind keine typische japanische Familie. Das haben wir vor allem viel Glück zu verdanken.

Der durchschnittliche japanische Mann und der Haushalt

Die durchschnittliche japanische Mutter eines Kinds unter sechs Jahren verbringt jeden Tag fast siebeneinhalb Stunden mit Familienarbeit: Sie kümmert sich fast drei Stunden um den Haushalt, geht 30 Minuten einkaufen und verbringt fast vier Stunden mit ihren Kindern.

Der durchschnittliche japanische Vater verbringt jeden Tag weniger als zwei Stunden mit denselben Aufgaben.

Frauen arbeiten also etwa viermal so lange im Haushalt. In Deutschland sind es etwa eineinhalb Mal, im gesamten Durchschnitt.

Ich habe keine große Strichliste geführt, um den Wert bei mir zuhause zu messen, aber ich glaube, dass wir den deutschen Werten um einiges näher sind, als den japanischen. Mein Mann erledigt den Wocheneinkauf und kocht täglich, außerdem bringt er unseren Sohn jeden Morgen in den Kindergarten und badet ihn abends. Gefragt, warum er das macht, seine simple Antwort: Warum nicht?

Wir haben aber auch einfach die richtige Umgebung: Als wir damals eine Familie planten, suchte mein Mann sich gezielt einen Job, bei dem er nicht übermäßige Überstunden schieben muss. Um kurz nach fünf lässt er den Stift fallen und fährt nach Hause. Außerdem kocht er gerne, während ich zwar kochen kann, aber keinen Spaß daran habe.

Ich gehe übrigens davon aus, dass in den siebenhalb Stunden auch viele Frauen erfasst wurden, die nicht außerhalb der eigenen vier Wände arbeiten – typische Hausfrauen. 28% der japanischen Frauen sind klassische Hausfrauen. Dass sie mehr Zeit mit Familienarbeit verbringen (können) als arbeitende Mütter, erscheint zumindest mir logisch.

Quelle 1: 令和3年社会生活基本調査(総務省統計局)
Quelle 2: 図12 専業主婦世帯と共働き世帯(独立行政法人 労働政策研究・研修機構)

Die durchschnittliche Japanerin und das Geld

Die durchschnittliche Japanerin verdient nur 77.5% eines durchschnittlichen Japaners.

Einer Umfrage der Online-Jobbörse doda zufolge, verdienen Frauen in ihren 30ern durchschnittlich 3,8 Millionen Yen pro Jahr. Japanische Männer im selben Alter verdienen durchschnittlich 4,9 Millionen Yen. Einen kleinen Schock erlebte ich, als ich feststellen musste, dass es auf der Seite für Frauen keine Parameter gibt, die mein Gehalt als durchschnittliches Gehalt ausspucken: Egal wie alt, egal wo in Japan, egal in welcher Branche.

Ich verdiene also überdurchschnittlich gut. Mein Mann verdient auch nicht schlecht, und tatsächlich etwa gleich viel wie ich. Das ist ein wenig nervig, weil wir eigentlich jedes Mal die Krankenkasse und andere Dinge für unseren Sohn ändern lassen müssen, wenn sich der Hauptverdiener ändert. Nicht, dass ich dafür in einen geringer bezahlten Beruf wechseln würde.

Quelle 3: 【図2】男女間賃金格差の国際比較(男女平等参画局)
Quelle 4: 平均年収ランキング(年齢・年代別の年収情報)【最新版】(doda.jp)

Die durchschnittlichen Arbeitsstunden der Japaner

Die Japaner sind dafür bekannt, unglaublich viel zu arbeiten. Tatsächlich arbeitet der durchschnittliche Japaner pro Jahr 1.633 Stunden. Männer arbeiten dabei mit 1.826 Stunden 404 Stunden mehr als Frauen (1.422 Stunden).

Frauen arbeiten aber auch fast zur Hälfte in Teilzeit, bei den Männern sind es nur 16.9% – Tendenz jeweils steigend. Wenn man sich die Statistiken ansieht, erkennt man einen eindeutigen Zusammenhang mit dem Alter der Frauen. Den höchsten Anteil festangestellter Frauen findet man bei den 25- bis 29-Jährigen (59,7%), danach nimmt er rapide ab und erholt sich auch nicht mehr.

Ich glaube nicht, dass es Zufall ist, dass das durchschnittliche Hochzeitsalter japanischer Frauen bei 29,4 Jahren liegt. Mit Heirat und Geburt des ersten Kindes scheiden noch immer viele Frauen aus dem Beruf aus, bei den Frauen, die zwischen 2015 und 2019 ihr erstes Kind bekamen, waren es 30,5%.

Wir arbeiten übrigens beide etwa gleich viele Stunden, wobei ich den großen Vorteil habe, viel von zuhause arbeiten zu können. Tatsächlich gab es auch bei mir, als es darum ging, ob ich eine Festanstellung bekommen würde, eine Nachfrage eines Vorgesetzten (übrigens kein Japaner), dass ich doch hoffentlich nicht vorhätte in Bälde schwanger zu werden. Hatte ich natürlich nicht.

Stelle dumme Fragen, bekomme dumme Antworten.

Quelle 5: 雇用等における男女共同参画の推進と仕事と生活の調(厚生労働省 雇用環境・均等局)
Quelle 6: 平均値と最頻値考察~「平均初婚年齢」と「初婚年齢の最頻値」の間には3歳から4歳の差~(男女平等参画局)


Was jedem klar sein sollte ist, dass für Gerechtigkeit viele Dinge zusammenspielen müssen. Deswegen glaube ich, dass Geschlechtergerechtigkeit erst herrschen kann, wenn auch die Arbeitsbedingungen für Männer verbessert werden können. Wie schaffe ich Gerechtigkeit in meinem Haushalt, wenn mein Mann jeden Tag bis 22 Uhr arbeitet? Wie kann ich in einem gutbezahlten Beruf Vollzeit arbeiten, wenn ich jeden Tag nicht nur einen Teil, sondern die gesamte Familienarbeit stemmen muss? Wenn ich nicht fest arbeite, komme ich dann überhaupt an einen Kindergartenplatz, der es mir ermöglichen würde, länger zu arbeiten, wenn ich das denn wünsche?

Das Warten auf einen Kindergartenplatz

Japan hatte lange ein großes Problem: Zu wenige Kindergartenplätze für zu viele Kinder. 2017 warteten über 26.000 Kinder auf einen Kindergartenplatz, im im März 2023 endenden Berechnungszeitraum waren es wohl nur noch 2.680.

In den Ballungsgebieten kann es trotzdem schwierig sein, einen Kindergartenplatz in der Umgebung oder der den eigenen Ansprüchen genügt zu ergattern. Einen großen Anteil an den verringerten Zahlen hat auch, dass mehr Kindergärten gebaut wurden, oft in einer anderen Kategorie mit weniger strengen Vorschriften.

Wir hatten Glück und haben einen Betreuungsplatz bei unserer ersten Wahl bekommen. Das lag sicher auch daran, dass während Corona viele Eltern ihre Kinder lieber noch länger zuhause lassen wollten.

Quelle 7: 令和5年4月の待機児童数調査のポイント(こども家庭庁)


Man kann im Privaten in Japan also zumindest Geschlechtergerechtigkeit auf dem Niveau von Deutschland erreichen. Man braucht “nur” einen Mann, der mitzieht, und das richtige Umfeld.

Wir hatten, wie oben schon geschrieben, oft einfach Glück. Wir sind privilegiert: Meinem Mann war es dank seines Studiums möglich, einen Beruf zu finden, der in seinem Fachgebiet ist und auch zumindest arbeitszeittechnisch passt. Ich bin hauptsächlich durch meine Dreisprachigkeit, IT-Affinität und einen engagierten Chef (tatsächlich der, der mich nach Familienplänen fragte) in einer Firma gelandet, die in Sachen Arbeitsbedingungen in Japan nur schwer zu überbieten ist.

Das erlaubt es uns erst, die Entscheidungen zu treffen, die zu einer ausgewogeneren Beziehung führen.

Für die japanische Durchschnittsfamilie ist es bis dahin noch ein weiter Weg.

10 Gedanken zu „Geschlechtergerechtigkeit in Japan – Und bei uns zuhause.

  1. Rumpelstilzchen sagt:

    Liebe Kuraudia San, so anders, “fühlen ” wir uns in Deutschland auch nicht anders, vielleicht nur statistisch. Wenn das Kind krank wird, nehmen die Mütter “fast” immer frei und sehr sehr selten die Väter. “Vater Teilzeit”, “Mutter Vollzeit” gibt es leider auch in Europa/USA kaum. Meist haben die Väter die Steuerklasse 2, die Mütter die Steuerklasse 5, das ist in Deutschland “Standard, auch in einer quasi links-alternative Universitätsstadt, wo ich lebe. Und wenn ich mal die Ehepaare aus Italien, Frankreich, Großbritannien sogar aus Schweden frage, die arbeiten die Ehemänner voll und wenn die Ehefrauen arbeiten, dann nur Teilzeit. Ich verstehe nicht so genau, woher die “schönen” statistischen Werte kommen. Ich finde oft, dass die japanischen Frauen, ich nenne das, “sehr ehrlich” sind, sie möchten gerne ums Kind kümmern und verwalten lieber den Haushalt. Oder bin ich falsch informiert? Oder kenne ich die falschen Japanerinnen? Viele Grüße Rumpelstilzchen

    • Claudia sagt:

      Ich persönlich kenne tatsächlich keine Hausfrauen, aber das liegt einfach an meinem Umfeld, deswegen kann ich nichts zur Motivation japanischer Hausfrauen sagen. Das wird wahrscheinlich durchmischt sein, von Frauen, die gerne zuhause sind zu solchen, die eigentlich lieber wieder arbeiten würden, es wegen der Umstände aber nicht können.
      Ich bezweifle ganz ehrlich, dass es irgendwo ein Land gibt, in dem Frauen und Männer wirklich 100% die gleichen Chancen haben und den gleichen Anteil am Haushalt stemmen.

  2. Holger Drechsler sagt:

    Passend dazu heute im Deutschlandfunk:
    Frauen leisten 72 Milliarden Stunden unbezahlte Sorgearbeit im Jahr
    Die Arbeit im Haushalt ist nach wie vor ungleich verteilt.
    Laut einer Studie des Forschungsinstituts Prognos, die den Zeitungen der Funke Mediengruppe vorliegt, entfallen von insgesamt 117 Milliarden Stunden Sorgearbeit 72 Milliarden Stunden auf Frauen; das sind 62 Prozent.
    Der Untersuchung zufolge bringen Frauen unter anderem für Kinderbetreuung, Haushalt und Pflege weitaus mehr Zeit auf als ihre Partner. Männer hingegen investieren lediglich bei Gartenarbeit und Reparaturen mehr Zeit als Frauen.
    Die Untersuchung basiert auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels. Die darin aufgeführten Berechnungen beziehen sich auf das Jahr 2021.
    Diese Nachricht wurde am 28.02.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.

  3. Anika sagt:

    Warte noch bis du die Nach-Schul-Betreuung erlebst..
    In der Kita ist es den Frauen vielleicht noch möglich lange zu arbeiten (unsere Kita hat Betreuung bis 20:30h!!! angeboten), aber dann ab Schule kannste sehen wie du Job und Kind unter einen Hut bekommst wenn beide Eltern bis spät arbeiten müssen.
    (Man muss ja bedenken dass in Japan die Arbeit oft erst später beginnt).
    Und dann sind die Plätze in der Nachbetreuung auch noch stark begrenzt.
    Und wenn man das Pech hat im Homeoffice zu arbeiten kann man dann zusehen wie man arbeitet und gleichzeitig das Kind beschäftigt.
    Ea wundert mich also überhaupt nicht wenn viele Frauen in Japan nur in die Teilzeit zurückkehren. Aber das ist in Deutschland ja auch nicht wirklich anders.

    • Claudia sagt:

      Da sind wir wieder bei den Privelegien: Wir haben beide Jobs, in denen wir früh anfangen und früh aufhören können und wir haben natürlich die Schwiegereltern im Haus.
      Dass viele in Teilzeit arbeiten ist aber wirklich kein Wunder, es geht nur meist zu Lasten der Frauen, statt dass das gleichmäßig aufgeteilt ist – Sowohl in Japan als auch in Deutschland. Frauen sollen halt gleichzeitig die japanische Wirtschaft retten und Kinder gebären. Ein Glück, dass wir so gut im Multitasking sind…

      • Anika sagt:

        Und wenn dann der gap beim Gehalt so gewaltig ist, geht natürlich die Frau in Teilzeit. Alles andere wäre ziemlich dumm..
        Ich glaube das ist tatsächlich Japans größtes Problem.. dass die Arbeit der Frauen so wenig gewertschätzt wird. Ich wette es gibt immer noch sehr viele Firmen in denen ausschließlich Frauen bei Meetings Tee servieren..
        Zwar will die Regierung uns zu Multitasking Maschinen machen, die Firmen spielen da aber noch nicht mit.

        Aus Deutschland hört man es tatsächlich häufiger dass der Mann sich zurück nimmt weil die Frau mehr verdient. Zumindest in meinen Insta Bubbles.

        • Rumpelstilzchen sagt:

          Es hängt davon ab, im welchem Bereich die Person arbeitet, zum Beispiel Tiermedizin. Es gibt ca. 200 Erstsemester*innen pro Uni , wo man Tiermedizin studieren kann. Ca. 180 bis 190 sind Tiermedizinstudentinnen und 10 bis 20 Tiermedizinstudenten. Aber die Chefs oder Professoren sind fast nur Männer und das in Deutschland im 21. Jahrhundert. Viele Grüße aus Good old Germany

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