Heimat.

Manchmal werde ich gefragt, ob ich das Leben in Deutschland oder in Japan besser finde. Darauf habe ich nur eine ehrliche Antwort: Ich weiß es nicht, ich war in Deutschland noch nie wirklich erwachsen. Ich habe in Deutschland zwar gejobbt, aber nie alleine gelebt, nie Verträge abgesehen von einem Handyvertrag abgeschlossen. Würde ich morgen plötzlich in Berlin aufwachen, ich würde die Sprache und Popkulturreferenzen von vor 15 Jahren perfekt beherrschen, wäre aber ansonsten absolut ahnungslos.

Wenn mir mein Besuch diesen August etwas gezeigt hat, dann, dass ich nicht mehr hineinpasse. Die Stadt und die Leute sind mir fremd geworden.

Wenn ich das so schreibe, habe ich immer direkt den Drang, etwas irgendwie richtigzustellen. “Fremd werden” klingt so negativ und als hätte irgendjemand Schuld. Dabei ist es kein Wunder, dass ich mich in den zwölf Jahren, die ich inzwischen 8900 km entfernt lebe, von Deutschland entfremdet habe. Zu behaupten, dass die Realisierung nicht irgendwie ein Schock gewesen wäre, wäre dennoch eine Lüge. Ich habe sicher auch die ein oder andere Träne darüber verdrückt, weil ich mit Deutschland natürlich eine gesamte Kindheit und Jugend verbinde.

Es ist ein wenig, als wäre ich immer nur geradeaus gelaufen, ohne wirklich zu bemerken, dass ich schon vor vielen Jahren auf eine Seitenstraße abgebogen bin. In die alte Heimat zu reisen hat mir gezeigt, wie viel Entfernung schon zwischen mir und meinen Wurzeln liegt.

Berlin ist mir fremd, für die U-Bahnstrecken musste ich mich auf Google Maps verlassen. Zum Ende meiner vier Wochen hin ertappte ich mich dabei, wie ich nach Japan gierte. Klassisches Heimweh. Leider schmeckt Matcha Frappuccino in Deutschland einfach nicht.

Japan ist für mich das Vertraute. Der Ort, an dem ich mich auf alles verlassen kann – auch darauf, dass an Zebrastreifen keine Sau anhält – und an dem ich mich auskenne. Wo ich nicht verwirrt vom Supermarktsortiment bin und nicht ewig brauche, um Kleingeld abzuzählen. Diese Erkenntnis, dass eine vollkommene Verschiebung des Ortes, an dem ich mich sicher und heimisch fühle, stattgefunden hat, ist ein wenig schmerzhaft. Aber andererseits auch gut.

Ich bin angekommen. So richtig.

Tatsächlich ist das erst in den letzten Jahren geschehen. Ich habe in unserer kleinen Ecke kurz vor Tokyo endlich wirklich Wurzeln geschlagen. Geholfen hat dabei vor allem unser Sohn. Seine Geburt hat dazu geführt, dass ich lange Zeit jeden Tag in der Umgebung spazierengegangen bin. Dabei habe ich immer wieder dieselben Leute getroffen und mich mit einigen von ihnen unterhalten (und ihre süßen Hunde gestreichelt), neue kleine Geschäfte entdeckt und einfach mal über Monate hinweg so richtig bewusst meine Umgebung hier wahrgenommen. Im gleichen Zeitraum habe ich noch weitere neue Freundschaften geschlossen, die mich noch mehr an das hier gebunden haben.

Ich werde nie Japanerin sein, aber das ist auch gar nicht das Ziel. In Deutschland habe ich mich nach den Reisfeldern gesehnt, die hellgrün im Wind wiegen. Nach den Bergen, die das Land zerteilen. Nach meinem zuhause.

Nach hier.

Hier ist Heimat.

Für richtig guten Matcha Latte in Berlin empfehle ich übrigens das Mamecha. 🙂

5 Gedanken zu „Heimat.

  1. Anika sagt:

    Ich fühle das so!
    Wenn ich in Hamburg bin verzweifle ich am öffentlichen Nahverkehr. Nicht dass wir nicht nur eine neue U-Bahn bekommen haben und zwei andere Linien inzwischen anders verlaufen wie früher.. Wie habe ich eigentlich als Teenager ohne Google Maps rausgefunden in welchen Bus ich einsteigen muss??
    Die deutschen Supermärkte überfordern mich ab einer gewissen Größe. Aldi geht noch mit seinen drei Reihen, aber Kaufland macht mich fertig.
    Wenn die Verkäufer mich auffordern meine Kreditkarte auf das Touchpad zu legen und ich verlegen sage dass das nicht geht, fühle ich mich fremd. Tatsächlich habe ich mich bei meinem letzten Besuch stark als Ausländerin in dem Land gefühlt in dem ich aufgewachsen bin..
    Ich bin kaum aus meinem Kokon (Elternhaus) rausgegangen. Die Menschenmassen in der Stadt haben mich verschreckt.
    Was mir aber sehr gut tat war dass ich ohne Probleme kommunizieren konnte. Etwas das mir in Japan noch zu schaffen macht (aber halt nicht genug um mich zu absolut verhassten Lernen zu bringen..).
    Es ist ein seltsames Gefühl dass das Vertraute sich gleichzeitig so fremd anfühlen kann und die Fremde so unglaublich vertraut.
    Wenn ich japanischen Boden betrete atme ich auch immer tief ein und denke “Zuhause”.

  2. Stefanie Gruber sagt:

    Ein Thema, was auch mein Leben geprägt hat und immer noch prägt. Vorausgesetzt, dass meine Wahlheimat kulturell weniger weit entfernt liegt, kenne ich nur zu gut das Gefühl des Fremdseins in der eigenen Kindheitslandschaft. Ich bin mit 23 nach Italien ausgewandert und habe 27 Jahre dort gelebt. Jetzt wohne ich seit 12 Jahren ( mit meinem Mann, Italiener) in Berlin. Und ich glaube, Berlin ist nicht zufällig die Stadt, in der ich mich jetzt sehr wohl fühle, denn woanders in Deutschland war für mich schwer vorstellbar. Und dennoch ist die häufige Rückkehr nach Italien genau das: wie in ‘ne warme Badewanne zu schlüpfen und zu sagen : auch zuhause!!

  3. nephi88 sagt:

    Gut ist, dass du dort Wurzeln geschlagen hast und es vom Gefühl her deine Heimat ist. Ich hatte das innerhalb Deutschlands, als ich bei meinen Eltern ausgezogen bin. Nach ein paar Jahren war ich der Heimatstadt fremd und in der neuen Stadt angekommen – als ich dort jedoch weitere Jahre später weg zog, verflog auch das Gefühl. In meiner jetzigen Stadt fühle ich mich nicht so verwurzelt und nicht mehr so mit der Stadt verbunden, wie es früher in meinem Heimatort oder in meiner Studienstadt war. Es ist ein kleiner Verlust und wer weiß, vielleicht stellt sich das Gefühl irgendwann mal wieder ein, vielleicht aber auch nciht – aber ich empfinde es als absolut positiv einen Ort zu haben, dem man sich so verbunden fühlt und auch als besonders schön sagen zu können, dass es in deinem Fall in der Kindheit eben in Deutschland so war und jetzt in Japan 🙂

  4. Patrick sagt:

    Als jemand der gerne im Ausland leben würde, würde ich die Realisierung das mir meine alte Heimt fremd geworden ist sogar als Errungenschaft anschauen. Ich deute es nämlich so das ich mich komplett in die neue Welt eingetaucht bin und nicht mit einem Bein sturr versuche in der alten Heimat zu bleiben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert