Japan hat inzwischen über 4000 bestätigte Corona-Fälle, davon etwa ein Viertel in Tokyo. Das allein überrascht eigentlich niemanden, aber die Tatsache, dass die Fälle direkt nach der Verlegung der olympischen Spiele aufs nächste Jahr plötzlich rapide anstiegen, lässt einige Leute (mich eingeschlossen) etwas zynisch auf die Zahlen blicken.
Derweil spaltet sich die Meinung über die Lage in Japan in zwei Lager: Auf der einen Seite die, die Corona noch immer nicht ganz so schlimm finden und glauben, dass Japan wegen seines inhärenten Japanischseins verschont bleiben wird, auf der anderen Seite die, die mehr Tests und stärkere Einschränkungen fordern. Einen ersten Schritt in letztere Richtung hat man nun endlich unternommen: Es wurde der Notstand ausgerufen.
Für wen gilt der Notstand?
Nun muss man aber wissen, dass der Notstand erst einmal nur für sieben der 47 Präfekturen gilt. Da wären im Großraum Tokyo die Präfekturen Tokyo, Kangawa, Saitama und Chiba, im Großraum Osaka die Präfekturen Osaka und Hyogo, und die Präfektur Fukuoka. Andere Gegenden, in denen ebenfalls viele Corona-Fälle aufgetreten sind, sind also von eventuellen Maßnahmen erst einmal nicht betroffen.
Hintergrund ist, dass man die japanische Wirtschaft nicht zu sehr schwächen möchte. Durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer (von 8% auf 10%) im letzten Jahr war das Wirtschaftswachstum bereits geschrumpft, Corona und die dadurch verursachte Verschiebung der olympischen Spiele auf 2021 wird Japan wahrscheinlich in eine Rezession schlittern lassen. Der Staat hat bereits ein Hilfspaket in Höhe von 20% des BIP beschlossen.
Was bedeutet der Notstand?
Erst einmal: Einen Lockdown wie in anderen Ländern wird es hier nicht geben.
Der Notstand bedeutet lediglich, dass die Gemeinden gewisse Einrichtungen bitten (要請 Yōsei) und anweisen (指示 Shiji) können zu schließen. In Tokyo werden die folgenden Stätten gebeten werden: Bildungseinrichtungen wie Universitäten, Paukschulen (塾 Juku), Sporthallen, Golfübungsplätze, Sportclubs, Theater, Kinos, Clubs, Konzerthallen, Ausstellungsräume, Museen, Bibliotheken, Shoppingcenter, Kaufhäuser, Friseursalons, Pfandhäuser, Bars, Internetcafés, Karaokeläden, Pachinkoläden, Game Center, etc. Außerdem wäre es möglich, Hotels zur Schließung zu bitten, doch davon wird in Tokyo vorerst abgesehen.
Geschäfte, die Lebensmittel, medizinische Produkte, Hygieneprodukte und Treibstoff anbieten, werden als essentiell gewertet und können nicht angewiesen werden zu schließen, was aber natürlich auch in Japan niemanden daran hindern wird, Hamsterkäufe zu unternehmen.
Selbst wenn sich eine Einrichtung gegen das Befolgen einer Bitte oder Anweisung entscheiden sollte, sind keine Bußgelder vorgesehen.
Wenn man sich aber die bisherige Entwicklung ansieht, reicht eine Bitte meist schon, damit viele Geschäfte freiwillig schließen. Vor allem die großen Ketten wollen sich später nicht nachsagen lassen, sie hätten nicht adäquat auf die Situation reagiert oder hätten gar zur Entstehung eines Corona-Clusters beigetragen. Das an unseren Bahnhof angeschlossene Einkaufszentrum ist auf jeden Fall seit heute dicht.
Der Nah- und Fernverkehr wird nicht unterbrochen, aber allein aus Kostengründen werden wohl auch im Inland viele Flüge gestrichen werden und es gibt Erwägungen die Taktung der Bahnen zu verringern.
Insgesamt also eher ein zahnloses Unterfangen, das darauf setzt, dass die Japaner und die japanischen Firmen von sich selbst aus das tun, was gut für alle ist. Das große Wort der letzten Wochen war deswegen auch “Selbsteinschränkung” (自粛 Jishuku).
Meine Verbesserungsvorschläge 😉
Ich bin zugegebenermaßen keine Expertin für Pandemien. Es gibt aber zwei Dinge, die mir (abgesehen von der sehr zögerlichen Reaktion) negativ aufgefallen sind.
Genaue Regeln statt schwammiger Verbote
Die Gouverneurin von Tokyo hatte bereits vor Wochen darum gebeten, “nicht dringende nicht notwendige Gänge nach draußen” (不急不要の外出 Fukyū fuyō no Gaishutsu) zumindest am Wochenende zu unterlassen.
Statt wie in Deutschland ganz genaue Regeln aufzustellen, an die die Menschen sich halten können, wird hier mit solchen sehr abstrakten Verboten gearbeitet, die letztendlich als zu realitätsfern nicht befolgt werden. Ich glaube, dass es den Menschen einfacher fallen würde, wenn sie eine Liste von Alternativen hätten: Ihr könnt zwar keine Kirschblütenpicknicks mehr veranstalten, aber zu zweit oder mit der Familie unter Einhaltung eines Sicherheitsabstands durch Parks zu spazieren ist okay.
Apropos Sicherheitsabstand: In Europa und den USA in aller Munde, ist der hier scheinbar auch noch ziemlich unbekannt. Die Politiker sitzen in ihren Sitzungen wie Hühner auf der Stange, die bisherigen Pressekonferenzen waren auch gerammelt voll. Nur gestern bei der Pressekonferenz mit Premier Abe konnte man sehen, dass die Journalisten ausreichend Platz umeinander hatten. Und wenn ich im Laden in der Schlange versuche zum Vordermann zumindest ein wenig Abstand zu halten, kann ich davon ausgehen, dass der Hintermann mir ungeduldig in den Nacken atmet.
Testen!
Während in Deutschland in der Woche eine halbe Millionen Tests durchgeführt werden, wurden in Japan noch nicht einmal insgesamt so viele Menschen getestet – und bei uns grassiert das Virus schon länger.
Inzwischen gibt es sogar Beschwerden von Ärzten, dass ihre erkrankten Patienten aus fadenscheinigen Gründen nicht auf das Virus getestet werden. Eine Begründung ist oft, dass der Patient zwar Symptome hat, aber keine konkreten Anzeichen auf Kontakt zu einer infizierten Person bestehen.
Bei einem Virus, dass auch ohne Symptome übertragbar ist, und in einem Land, in dem die Menschen so nah aufeinanderhocken wie in Japan, hat jeder, der sich nicht komplett zuhause verbarrikadiert, irgendwann Kontakt mit einer infizierten Person. Und wenn es nur der Typ ist, der mir in der Warteschlange auf die Pelle rückt.
Zwar will man die Anzahl der Tests nun erhöhen, aber auch das auf höchstens 20.000 pro Tag, und wie lange es dauern wird, bis das tatsächlich umgesetzt wird, steht noch in den Sternen.
Leider gab es Corona-bedingt von meinem Geburtskrankenhaus eine Nachricht, die mich dazu brachte, in Tränen auszubrechen: Bis auf Weiteres sind Besucher auf der Geburtsstation verboten. Bei der Geburt selbst darf eine Person dabei sein, aber danach ist man mit dem neuen Baby allein. Ich hoffe wirklich, dass die Situation sich innerhalb der nächsten zwei Monate soweit reguliert, dass diese Regel abgeschafft wird, eine Woche mit dem Kind zusammen von meinem Mann getrennt zu sein, kann und will ich mir nämlich gar nicht vorstellen.
Bleibt gesund!
Moin. Ich weiß ja nicht ob das möglich ist in Japan, aber könntest du wenn alles okay ist mit dir und dem baby, nicht ambulant entbinden, dann geht man in Deutschland 4-6 std. nach der Entbindung nach Hause .
Geht allerdings nicht bei Kaiserschnitt oder probelmen.
Alles liebe und bleibt gesund
Hier ist das leider nicht ganz so einfach, Japan hält einen generell länger im Krankenhaus in Deutschland. Ich werde aber bei der nächsten Vorsorgeuntersuchung nachfragen, ob ich (wenn alles gut läuft) auch früher nach Hause könnte.
Ach je, ich drück die Daumen für die Geburt und die Zeit danach. Ein bisschen Zeit ist ja noch
Ich hoffe auch, dass sich da in den nächsten zwei Monaten noch etwas ändert.
Ich drücke die Daumen für Euch! Ich habe in 5 Tagen Termin und hier ist es wie bei Euch. Ich hoffe schnell nach Hause zu können, wenn möglich ambulant.
Liebe Grüße von einer stillen Leserin aus Berlin
Ich drücke dir die Daumen, dass alles gut läuft! Ist wirklich nicht die beste Zeit für quasi alles…