Neue Kanji im Alltagsgebrauch?

Für viele Japanischlerner sind die komplexen Schriftzeichen, oder Kanji, der Endgegner. Es gibt eine unendlich erscheinende Anzahl von ihnen, und dann haben die meisten Kanji auch noch verschiedene Lesungen.

Japaner lernen Kanji in der Schule. Natürlich werden ihnen dabei nicht alle etwa 50.000 Schriftzeichen beigebracht, sonst würde ihnen gar nichts anderes mehr beigebracht werden können. Stattdessen gibt es eine kurze Liste von nur 2136 Kanji, die im allgemeinen Sprachgebrauch sind. Diese werden Jōyō-Kanji genannt.

Im öffentlichen Leben wird erwartet, dass ein Erwachsener diese 2136 Schriftzeichen lesen und verstehen kann. Alles was darüber hinausgeht, wird mit der Lesung versehen.

In japanischen Namen dürfen übrigens nur diese 2136 Kanji plus 863 Personennamen-Kanji (Jinmeiyō-Kanji) verwendet werden.

Nun ändern sich natürlich durch den Zeitgeist die Kanji, die viel verwendet werden und daher auch von vielen gelesen werden können. Andere geraten in Vergessenheit. Über die Jahre wurden also Kanji von der Liste genommen und neue hinzugefügt.

Insgesamt kann man sagen, dass die Liste der Alltagskanji immer länger wird. Während 2010 196 neue Kanji auf die Liste kamen, wurden nur fünf entfernt.

Nun hat das Kulturministerium eine Umfrage durchgeführt um zu ermitteln, ob es weitere Kanji gibt, die die Japaner gern im generellen Schriftgebrauch hätten.

Ganz klar fiel die Sache bei 絆 (Kizuna), Verbindung (zwischen Menschen), aus. Vor allem nach großen Naturkatastrophen, wie wir sie in den letzten Jahren leider häufig hatten, wird das Zeichen oft verwendet um die Verbundenheit der Japaner untereinander zu beschreiben. 90% der Befragten gaben an, dass es besser sei das Kanji zu verwenden.

Kizuna ist sowieso ein in Namen verwendbares Kanji.

Ein wenig anders sieht die Sache bei 癌 (Gan), Krebs, aus. Krebs ist eine japanische Volkskrankheit, die meisten Japaner sterben an Krebs, und daher kann das Kanji inzwischen einfach fast jeder lesen. Derzeit wird bei verschiedenen Arten von Krebs eine Mischung aus Kanji und Hiragana (z.B. 子宮頸がん statt 子宮頸 für Gebärmutterhalskrebs) verwendet. 72,6% der Befragten gaben an, dass sie hier lieber das Kanji sehen würden.

Zu guter letzt ein ganz simples Kanji, von dem ich gar nicht wusste, dass es kein Alltags-Kanji ist: 叩 (Kō, tata-ku, hata-ku) bedeutet klatschen, schlagen, hauen und einiges mehr. Das Kanji selbst ist so einfach, dass 76,1% der Befragten angaben, dass sie es gern im Alltag verwendet sehen würden.

Die meisten Japaner kennen nämlich doch mehr Kanji als nur die, die sie in der Schule gepaukt haben. Vor allem gebildete Menschen können mehr lesen, obwohl die Fähigkeit Kanji auch mit der Hand zu schreiben mit der Digitalisierung immer weiter abnimmt.

Diese drei Kanji werden jetzt natürlich nicht direkt in die Liste der Alltags-Kanji aufgenommen, aber man wird diese Umfrage schon miteinbeziehen, wenn sie das nächste Mal aktualisiert wird.

8 Gedanken zu „Neue Kanji im Alltagsgebrauch?

  1. Helmer sagt:

    Was ändert sich nach Abstimmung? Dürfen die Kanji dann auch von Behörden verwendet werden? Müssen dann Schriftarten auf den Computer aktualisiert werde?

    • Claudia sagt:

      Die Abstimmung hat noch gar keine Folgen, sie wird nur möglicherweise das nächste Mal, wenn die Liste aktualisiert wird, zu Rate gezogen. Ansonsten sind die ganzen Kanji schon in den Standard-Schriftarten enthalten. Aber ja, wenn die Kanji der Liste hinzugefügt werden, dürfen sie auch auf Papieren von Behörden verwendet werden, auch ohne dass die Lesung extra angezeigt werden muss.

  2. tabibito sagt:

    Andererseits gibt es aber auch Jōyō-Kanji, die viele nicht lesen können, da sie absolut gar nicht mehr benutzt werden — wie 匁 oder 朕.

    Und da wären auch noch Kanji wie das für “sabishi-i” — das Jōyō-Kanji “寂しい” wird zwar benutzt, aber viele bevorzugen das Nicht-Jōyō-Kanji “淋しい”…

    • Claudia sagt:

      匁 ist kein Jōyō-Kanji mehr, wurde 2010 abgeschafft. 🙂 Und 朕 wird nicht mal mehr in Zeitungen verwendet. Es ändert sich eben mit der Zeit. 🙂

  3. Wolfgang Feige sagt:

    Liebe Claudia,
    ich bin ein Lernender, noch dazu im Selbststudium, und ich glaubte, festzustellen (bei einem fehlgeschlagenen Versuch, mich bei Amazon Japan zu registrieren), dass auf deren Website zwar in der Tat nur Jōyō-Kanji verwendet werden, aber unentwegt auch in Kombinationen mit nicht ohne weiteres erschließbaren oder völlig abweichenden Bedeutungen, was den staatlich festgelegten Zugriff natürlich untergräbt. Oder hatte ich da einen falschen Eindruck?
    viele Grüße,
    Wolfgang

    • Claudia sagt:

      Ich glaube ganz ehrlich, dass dein Problem mit den Bedeutungen eher daher rührt, dass dir das Vokabular noch fehlt. Kanji-Kombinationen sind nicht immer ganz logisch, aber das hat Sprache eben so an sich. Wenn Amazon komische Bedeutungen verwenden würde, hätten auch Japaner mit der Seite Probleme und das haben sie nicht. Vielleicht hilft dir ein Add-On wie Rikaichan?

      Abgesehen davon legt der Staat nicht fest, welche Kanji im freien Markt wie verwendet werden dürfen, es ist lediglich eine Liste, die Schüler bis zur Uni lernen und die deswegen für Behörden bindende und für alle anderen freiwillige Grundlage ist, wenn sie Texte erstellen.

  4. D. sagt:

    Zweifelsohne echt ein spannendes Thema! In Taiwan gibt es eine ähnliche Liste von Schriftzeichen im Alltagsgebrauch, die 「常用國字標準字體表」 aus dem Jahr 1982. Orientiert hat man sich damals an gängigen Wörterbüchern und Artikeln aus Zeitungen und Magazinen. Insgesamt sind das 4808 Zeichen. Zum Abschluss der Mittelschule (9. Schulstufe) sollten Schüler zumindest 4500 Schriftzeichen erkennen und 3500 aktiv verwenden können. Darüber hinaus hat die Liste aber keine beschränkende Funktion, weswegen das Bildungsministerium dann auch noch eine Liste mit 6341 nächsthäufig verwendeten Zeichen herausgegeben hat… 🙂

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