Blau, blau, blau sind alle meine Ampeln.

IMGP8661Bei manchen Dingen könnte man meinen, sie wären überall so. Ampeln zum Beispiel: Grün, Gelb, Rot. Das ist international so festgelegt, daran ist nichts zu rütteln. Oder etwa doch? In Japan sagt man nämlich nicht “Es ist grün!” (緑です! Midori desu!), sondern “Es ist blau!” (青です! Ao desu!).

青 (Ao; Blau) hat eine sehr viel längere Geschichte als 緑 (Midori; Grün)*. Die Farben im alten Japanisch waren Rot, Weiß, Schwarz und Blau. Die ersten drei Farben sind übrigens nicht untypisch: Wenn eine Sprache zwei Farben kennt, sind es meist Weiß und Schwarz. Kennt sie drei kommt Rot dazu. Danach kommt oft entweder Gelb oder Grün; in Japan war es Blau, 青 (Ao).

* Erst seit Ende des zweiten Weltkriegs wird in Lehrmaterialien für Kinder zwischen Grün und Blau unterschieden. Noch früher waren kalte Grüntöne blau und warme Grüntöne gelb.

Aber was ist eigentlich alles blau, wenn man kein Wort für Grün hat? Blätter sind blau – 青葉 (Aoba; frische Blätter). Grünes Gemüse ist blau – 青野菜 (Aoyasai; grünes Gemüse). Äpfel sind blau – 青りんご (Aoringo; grüner Apfel). Auch heute noch.

Selbst als 緑 (Midori; grün) eingeführt wurde, wurde es erst nur als Abstufung von blau wahrgenommen. Als dann um 1930 die ersten Ampeln aufgestellt wurden, hieß das Grüne Licht 緑色信号 (Midori-iro Shingô; grünfarbenes Signal). War ja schließlich so festgelegt.

Aber irgendwie setzte sich das nicht durch. Die Ampeln waren grün, die Menschen nannten sie blau. 青信号 (Aoshingô; blaues Signal) geht auch viel einfacher über die Lippen. Man hätte natürlich versuchen können es durchzusetzen. Eine Marketingkampagne für das grüne Licht entwerfen, mit Kinderbüchern und Liedern. Anpassen an den internationalen Standard, keine Farbsonderregelungen für Japan!

IMGP7999Japan hat sich letztendlich für den Weg des geringeren Widerstands entschieden: Japanische Ampeln sind blau. Also natürlich sind sie nicht komplett blau, an internationale Regeln hält man sich hier schon, aber sie sind so bläulich wie es unter den Bestimmungen irgend möglich ist.

Vergleicht einmal das Titelbild mit dem Ampelmännchen in Berlin. Das Ampelmännchen in Berlin ist nicht nur stylischer als sein japanisches Gegenstück, sondern auch viel viel grüner.

Sprachen sind schon etwas Schönes. 🙂

11 Gedanken zu „Blau, blau, blau sind alle meine Ampeln.

  1. Daniela sagt:

    Ich habe mich anfangs auch immer darüber gewundert, dass Japaner ständig “blau” benutzen, dabei ist die Ampel doch definitiv “grün” – in meinen Augen zumindest. Danke für deine sehr verständliche Erklärung zu diesem japanischen Phänomen.

    Ich lese nun schon seit einiger Zeit dein Blog und finde, das du sehr anschaulich erzählen kannst und einen tollen Stil hast, mit einer persönlichen Note, die mir sehr gefällt.

    Ich selbst habe über 6 Jahr in Japan gelebt, bin ebenfalls mit einem Japaner verheiratet und 2009 sind wir ins 8900km Berlin gezogen. Ich vermisse Japan sehr und wenn ich dein Blog lese, dann schaffst holst du mich immer für einen Moment zurück in meine andere Heimat. Dank dir dafür!

      • tabidani sagt:

        Wir haben uns auf Reisen in China kennengelernt, unsere gemeinsame Sprache war damals Englisch. Dann sind wir zusammen nach Japan gegangen, ich habe die Sprache gelernt und langsam auch die Kultur verstanden und damit auch verstanden, warum Daisuke so ist, wie er ist. Als sich 2009 für ihn eine Chance ergab, den Job zu kündigen (ist ja nicht immer einfach in Japan), haben wir entschieden, nach Berlin zu gehen. Ich wäre gerne in Japan geblieben, aber Daisuke wollte sehr gerne Deutschland richtig kennenlernen, die Sprache lernen und mich und meine Kultur verstehen. Mittlerweile sind wir 3-sprachig. Wie sieht es bei euch aus? In welcher Sprache kommuniziert ihr miteinander? Spricht dein Mann auch Deutsch? Und wünscht er sich nicht, mal in Deutschland leben zu können?

        • Claudia sagt:

          Mein Mann spricht Japanisch und etwas Englisch. Zuhause ist alles auf Japanisch. Er verspricht mir immer Deutsch zu lernen, wenn wir ein Kind haben. Ich bin ja gespannt 😉 Nach Deutschland möchte mein Mann schon, aber das wäre arbeitstechnisch viel schwerer und ich bin lieber in Japan.

  2. Michaela sagt:

    Hallo Claudia,
    vor ein paar Tagen bin ich durch Google auf deinen Blog gestoßen, weil ich nach einer Möglichkeit gesucht habe, mehr über Japan zu erfahren, am Besten aus erster Hand, da wir in ein paar Jahren gerne Urlaub in Japan machen möchten, da möchte ich vermeiden in Fettnäpfchen zu treten oder ähnliches. Daher an dieser Stelle ein großes DANKE, dass du deinen Lesern Japan so nahe bringst. Du schreibst schön ausführlich und anschaulich, recherchierst viel und auch wenn ich einiges der gepflogenheiten von Japan durch meinen hohen Anime- und Manga-Konsum erfahren habe, setzt du immer einen drauf und erzählst mehr über die Hintergründe, wieso etwas so ist wie es ist, etc.
    Lange Rede kurzer Sinn, mach weiter so!
    Viele Grüße
    Michaela

  3. Nonoctopus sagt:

    Ich hab hier was gefunden!

    Anscheinend war das früher in fast allen Kulturen so, einfach weil die Farbe Blau wie wir sie kennen nie in der Natur vorkam. Das heißt, es gab gar keine Notwendigkeit ein Wort für “Blau” zu erfinden und Blau und Grün wurden zusammengefasst.

    In manchen Kulturen wie einem Stamm in Namibia wurden sogar Tests durchgeführt und es kam raus, dass sie Blau und Grün noch nichteinmal unterscheiden konnten, dafür aber unterschiedliche Nuancen von Grün sehen konnten, die wir normalerweise nicht sehen!
    https://www.youtube.com/watch?v=r0jXfwPQW9k (ab Minute 8,5)

    • Claudia sagt:

      In Japan wurde andersherum zusammengefasst, so dass Grün in Blau mit drin war. Grün war entweder blau oder gelb. Dementsprechend wurde auch nicht blau in eine neue Kategorie gesteckt, sondern grün.
      Worte formen die Wahrnehmung. 🙂

  4. Wolfgang Endress sagt:

    Die Begründung erscheint mit etwas kurz gedacht. Türkis/Blau hat auch einen echten Hintergrund – Speziell bei Männern ist die rot-grün Schwäche recht ausgeprägt – für diese Personen ist diese Lösung deutlich besser.
    Ich weiss es nicht, aber möglicherweise basiert die sprachliche Komponente auch auf öfters vorkommender rot-grün Schwäche in früheren Zeiten.
    International hat man leider die Lösung – wohl aus Unwissenheit – nicht erkannt….

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