Aufs Dorf: Vier Tage in Sakuho-Machi.

Manchmal – ach was, meistens – geht mir Tokyo schrecklich auf die Nerven. Zu viele Leute, zu wenig Platz, zu viel Lärm, zu wenig Grün.

Meinen Urlaub verbringen wir deswegen schon seit einiger Zeit bevorzugt an Orten, an denen es nicht so stressig zugeht. Das ist in Japan gar kein Problem, denn schlimmer als in Tokyo ist es eigentlich nirgends.

Anfang September haben wir aber noch einen draufgesetzt und sind nach Sakuho-Machi in Nagano gefahren. Das ist mit 10 000 Einwohnern schon fast ein Dorf.

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Nagano, Teil 3: Matsumoto. Schloss, alte Straßen und eine Grundschule.

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Für Matsumoto (松本) hatten wir uns wegen der Nähe zu Kamikōchi (上高地) entschieden und um ehrlich zu sein nicht viel erwartet. Tatsächlich ist Matsumoto, zumindest im Vergleich zu Tokyo, ein recht kleines und etwas verschlafenes Städtchen. Aber schön ist es!

Für uns auf den ersten Blick etwas unverständlich hatten viele ausländische Besucher den Weg nach Matsumoto gefunden – aber dank Japan Rail Pass und der Nähe zu nicht nur Nagoya, sondern auch Kyoto und Osaka besuchen viele Touristen die Stadt. Die hat sich extra dafür auch ganz besonders schön gemacht. 🙂

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Die größte Touristenattraktion ist natürlich das Schloss Matsumoto (松本城). Ursprünglich 1504 unter dem Namen Schloss Fukashi (深志城) erbaut, ging es durch viele Hände, bis es Ende des 19. Jahrhunderts ziemlich heruntergekommen war. Eigentlich wollte man es abreißen lassen, doch die Bewohner Matsumotos wehrten sich dagegen. So gelangte es per Versteigerung in den Besitz der Stadt. Vor der Renovierung neigte sich das ganze Schloss gefährlich in eine Richtung… Nach zwei Instandsetzungen, die letzte vor 60 Jahren, ist es nun wieder schön anzusehen.

Es ist nicht so groß wie die Schloesser anderer Städte, aber trotzdem sehr adrett. Nur die Wartezeiten für die Besichtigung sind etwas heftig: Um die Mittagszeit zwei Stunden! Im inneren des Schlosses geht es auch nicht schnell voran, daran hindern einen die steilen Stufen. Wirklich nichts für Kinder oder ältere Menschen.

Zwar war einiges ausgestellt, aber der Ausblick über Matsumoto war nicht so atemberaubend, dass es sich gelohnt hätte. Doch wenn man schon einmal in Matsumoto ist…

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In der Nähe des Schlosses befindet sich die ehemalige Kaichi-Schule (旧開智学校), eine der ersten Regelschulen Japans. Das Gebäude ist sehr schön und vereint westliche Architektur mit östlichen Elementen.

Leider ist die Ausstellung beinahe ausschließlich auf Japanisch und ich hatte um ehrlich zu sein nicht die Geduld mich durch Texte über die Geschichte des japanischen Schulsystems zu quälen. Die Fotos waren aber sehr interessant, es gab unter anderem Fotos von japanischen Reisenden in Ägypten – vor über 100 Jahren.

Außerdem ist ein alter Klassenraum ausgestellt. Als wir die Fotos meinem Schwiegervater zeigten meinte er, dass er früher an solchen Tischen gesessen hat. Ja, bei uns in der Ecke war das damals nicht unbedingt alles auf dem neusten Stand. 😉 Vor 50 Jahren waren hier schließlich alles noch Reisfelder.

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Außerdem einen Blick wert: Nakamachi-Dōri (中町通り) und Nawate-Dōri (縄手通り). In der Nakamachi-dōri befinden sich alte Lagerhäuser aus Lehm  mit kleinen Läden. Leider waren wir scheinbar nach Ladenschluss dort, aber durch die Scheiben konnten wir einiges erhaschen: Geta-Schuhe, Kimono und weiteres traditionelles Handwerk gab es zu bestaunen.

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Ein Stückchen weiter, auf der anderen Seite des Flusses, kann man den Abend wunderbar in der Nawate-Dōri ausklingen lassen. Die Straße ist Fußgängerzone und wartet neben Läden mit Restaurants und Bars auf, die einen dazu verführen noch etwas zu verweilen.

Außerdem kann man über Treppen unten an den Fluss, in Japan sonst eher untypisch. Da könnte man sich glatt irgendwo ein Bier kaufen und es sich am Wasser gemütlich machen. Die Atmosphäre war absolut entspannt, keine Menschenmassen weit und breit, stattdessen Vogelgezwitscher. Wirkliches Gezwitscher, statt Gekrähe, hört man in der Hauptstadt nur an den Bahnhöfen – dort wird es über Lautsprecher eingespielt.

Wenn man die Schnauze voll hat von Tokyo aber nicht gleich komplett aufs Land fahren will, lohnt sich Matsumoto. Bis auf das Schloss sind die Touristen gut über die Stadt verteilt, man kann viele Strecken laufen, und die Stadt ist schön. Was will man mehr? 🙂

Nagano, Teil 2: Auf in die Berge!

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Am Donnerstag stiegen wir um vier Uhr morgens aus unserem Hotelbett. Der erste Bus nach Kamikōchi (上高地) verließ Matsumoto um halb sechs.

Kamikôchi ist ein Tal in den japanischen Alpen im Chūbu-Sangaku Nationalpark (中部山岳国立公園). Im Winter ist Kamikōchi geschlossen, nur besonders Mutige wagen sich dann in die Berge.

Hinaufzufahren ist etwas umständlich, weil der letzte Teil der Strecke für den normalen Straßenverkehr gesperrt ist. Man nimmt entweder den Bus oder ein Taxi. Es gibt sogar Busse von Tokyo aus! Wir fuhren mit einem von nur zwei direkten Bussen von Matsumoto. Ansonsten muss man mit der lokalen Bimmelbahn bis nach Shinshimashima (新島々)* fahren und dort umsteigen.

Hin und zurück kostet es pro Person etwas weniger als 5,000 Yen (ca. 36€), alle Tickets gelten entweder für den direkten Bus oder auch die Anbindung nach Shinshimashima und den Bus von dort.

* Was ein großartiger Name! Hat uns viel Unterhaltung beschert. 😀 新島々の真島さん (Shinshimashima no Mashima-san; Herr Mashima aus Shinshimashima)

Je höher in die Berge wir mit dem Bus fuhren, umso schlechter wurde das Wetter. War ja klar. Warum sollten uns auch die Wettergötter gut gesinnt sein?

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Oben angekommen war es ziemlich kalt. Etwa 16°C sind etwas unangenehm, wenn man bisher mit den hohen tokyoter Temperaturen zu kämpfen hatte. Sobald man am Bus Terminal angekommen ist, muss man übrigens Nummerntickets für den Bus, mit dem man zurückfahren will, besorgen. Sonst kommt man ewig nicht vom Berg runter.

Nach einem kurzen Stopp für ein Stück Kuchen und eine Tasse heißen Kaffee machten wir uns auf den Weg von der Kappa-Brücke (河童橋) zur Hotaka-Brücke (穂高橋). Die meisten Wege auf der Strecke waren sehr gut befestigt, auch wenn wir uns immer einmal im Pfützen schlängeln mussten. Wegen des Regens konnte man die umliegenden Berge leider nicht so gut sehen, das wäre wahrscheinlich ein noch majestätischerer Anblick gewesen. 🙁

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Weil wir wie Espenlaub zitterten, beschlossen wir einen Zwischenstopp im Kamikōchi Onsen Hotel (上高地温泉ホテル) einzulegen. Für 800 Yen, plus 300 Yen für ein geliehenes Badehandtuch und 200 Yen für ein gekauftes kleines Handtuch (insgesamt also etwa 9,40€) konnten wir die heißen Quellen genießen. Eines der Bäder liegt unter freiem Himmel, direkt im Wald. Ich weiß nicht, ob ich jemals vorher so dankbar für die heißen Quellen war! Nach einer halben Stunde war mein Körper aufgewärmt, und wir marschierten weiter.

In der Zwischenzeit hatte es aufgehört zu regnen, und in der Hoffnung doch noch gutes Wetter genießen zu können beschlossen wir unsere Abfahrt weiter nach hinten zu verschieben.

Nachdem wir auf der Brücke auf wilde Affen getroffen waren und einen Anschlag sahen, auf dem vor wilden Bären gewarnt wurde, besichtigten wir das Kamikōchi Imperial Hotel (上高地帝国ホテル). Für uns wäre es natürlich komplett unerschwinglich, mit Restaurantpreisen, die einem die Tränen in die Augen steigen lassen. 2,700Yen (19,55€) für Spaghetti Carbonara!

Nach einem viel günstigeren Mittagessen mit Pilzen aus der Gegend beschlossen wir, eine noch weitere Strecke auf uns zu nehmen: Hoch zum Myōjin-Teich (明神池). Auf dem Weg trafen wir viele Leute, die viel besser ausgerüstet waren als wir: Mit Wanderschuhen, Wanderstöcken und Allwetterkleidung. Wir sahen aus, als wären wir gerade in Tokyo beim Einkaufen. An sich wäre das sicher auch kein Problem gewesen, hätte es nicht immer wieder angefangen zu regnen.

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Als wir nach etwa 50 Minuten endlich am Teich angekommen waren und Eintritt bezahlt hatten (!!) mussten wir feststellen, dass der starke Regen das ganze Erlebnis etwas versaute. Was normalerweise ein ruhiger See wie aus einem Märchen ist, war durch das ewige Platschen der Regentropfen kaum als mystisch zu erkennen.

Weil wir dann doch schon etwas durchweicht waren, bestellten wir in einem Gasthaus in der Nähe warme Getränke, bevor wir uns auf den Weg zurück zum Bus Terminal machten. Im Platzregen. Mit leichten Turnschuhen. Nun war das natürlich nicht ganz so schlau, aber der Wettervorhersage, in Tokyo recht zuverlässig, kann man in den Bergen einfach nicht trauen. Dort war erst für den späten Nachmittag Regen angesagt worden.

So stiegen wir um 14 Uhr, sieben Stunden nach unserer Ankunft, in den Bus, stiegen später in die Bimmelbahn um und besuchten erstmal die heiße Quelle in unserem Hotel. Deswegen ist das Dormy Inn unser liebstes günstiges Hotel.

Trotz des schlechten Wetters war Kamikōchi wunderschön. Das Wasser ist sehr klar, das Grün kräftig und die Luft sauber. Es wäre natürlich viel schöner gewesen, wenn das Wetter besser gewesen wäre, aber man kann nicht alles haben. So haben wir zumindest einen guten Grund noch einmal hinzufahren. 🙂

Nagano, Teil 1: Bahnfahrt, Affen und Onsen.

Nagano: Reisfelder und Berge, Berge und Reisfelder.

Nagano: Reisfelder und Berge, Berge und Reisfelder.

Wie angekündigt fuhren wir letzten Mittwoch, zur Sommerreisezeit, in den Urlaub. Also, nach deutschem Verständnis vielleicht eher eine Kurzreise, schließlich waren wir nur für drei Tage weg.

Aus Gründen waren wir die letzten Jahre immer entweder mit dem Auto oder dem Flugzeug unterwegs. Tatsächlich hatte ich, bis auf eine Ausnahme, fast vier Jahre lang keinen Shinkansen mehr betreten. Seit diesem Jahr fährt ein neuer Shinkansen bis nach Kanazawa, und weil wir zu viel Geld zu spät gebucht haben, fuhren wir sogar im Green Car, einem ein wenig luxuriöseren Abteil.

Die Fahrt war wunderbar unanstrengend, weniger als zwei Stunden dauerte es bis nach Nagano (長野)*. Bei unserer Ankunft stellten wir fest, was wir eigentlich schon wussten: Nagano ist ziemliche Pampa. Zwar hat man den neuen Shinkansen als Anlass genommen den Bahnhof auszubauen, aber ringsherum ist nichts. Für unseren ersten großen Programmpunkt fuhren wir noch eine weitere Stunde mit dem Auto in den noch ländlicheren Teil der Präfektur: Affen gucken. 😀

* Sowohl die Präfektur als auch die Hauptstadt der Präfektur heißen Nagano.

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Der Jigokudani Wildaffenpark (地獄谷野猿公苑) ist vor allem dafür bekannt, dass im Winter Affen in den heißen Quellen baden. Nachdem man durch die Landschaft gegurkt und eine gefährlich enge und sich windende Straße erklommen hat, stellt man fest, dass man vom Parkplatz aus laufen muss. Zwanzig Minuten. Die Hälfe davon bergauf. Aber wir sind ja jung und stark, außerdem warten am Ende der Tortur wilde Tiere.

Japanmakkaken (ニホンザル) sind in der Gegend tatsächlich heimisch. Weil es im Winter recht kalt wird, Nagano war 1998 Austragungsort der olympischen Winterspiele, sind die ausgewachsenen Tiere im Vergleich zu z.B. Totenkopfäffchen sehr groß und stämmig. Auch fehlen ihnen die langen Schwänze für die Balance, das würde im Winter wahrscheinlich zu viel Energie stehlen.

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Die Affen sehen natürlich unglaublich flauschig aus, trotzdem darf man nie vergessen, dass sie wild sind. Sie übernachten in den Wäldern, und die Pfleger sind hauptsächlich dafür da Affenexkrement wegzuräumen.

Direkt am Eingang gibt es deswegen ein Schild mit einfachen Regeln: Den Affen nicht in die Augen schauen, nicht versuchen den Affen gut zuzureden**, nicht anfassen und vor allem kein Futter geben oder in ihrer Gegenwart essen.

** Sehr schön erklärt mit “Affen verstehen keine Menschensprache und sehen es als Provokation.”

Ein recht bekanntes Bild zeigt einen Affen mit iPhone. Ein Besucher nervte einen Affen mit dem Fotografieren, dieser nahm das iPhone an sich und ertränkte es. Also: Nicht zu nah ran gehen und nicht zu aufdringlich sein. Ein Teleobjektiv lohnt sich. 🙂 Ich mag Affen sehr gern als Motiv, weil ihre Emotionen für Menschen sehr offensichtlich lesbar sind. Außerdem sehen sie alle ein wenig aus wie alte Männer. 😉

Im Sommer gehen die Affen übrigens nicht gern ins heiße Wasser. Zum Glück gibt es direkt neben den heißen Quellen auch noch einen kühlen Fluss, an dem sie die Zeit verbringen.

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Auf unserem Rückweg nach Nagano lag die heiße Quelle Shibu-Onsen (渋温泉). Der Ort ist tatsächlich sehr 渋い (shibui**). Die kleinen öffentlichen Bäder und traditionellen Gasthäuser erinnern irgendwie an den Ghibli Anime Chihiros Reise ins Zauberland. 🙂 Sehr liebenswert auf jeden Fall.

Von den öffentlichen Badehäusern gibt es übrigens neun; wenn man in allen neun badet, bringt es wohl Glück. Wenn man aber weder dort wohnt noch im Ort übernachtet, kann man nur in dreien Baden. Ob man dann wenigstens ein Drittel Glück bekommt, weiß ich aber auch nicht. Wenn man sowieso in der Nähe ist, sollte man Shibu-onsen auf jeden Fall besuchen, es lohnt sich allein für die Atmosphäre. 🙂

** Der Wikipedia-Artikel nimmt das natürlich viel ernster als der Volksmund. “Shibui” ist simpel, etwas älter, irgendwie nostalgisch und wirkt so, als wäre die Zeit stehengeblieben. Ein altes Café ist vielleicht shibui, ein alter Thronsaal eher nicht. Nicht zu verwechseln mit しょぼい (shoboi; heruntergekommen oder schäbig).

Für uns ging es wieder zurück nach Nagano um mit dem Expresszug nach Matsumoto (松本) zu tuckern. Darüber dann mehr in zwei Tagen!