Wenn Deutschland das Land der Dichter und Denker ist, ist Japan das Land der Geschichtenerzähler. Auch humorvolles Geschichtenerzählen hat hier Tradition. Ich wollte mir das schon länger einmal näher ansehen, und war deswegen mit einer Freundin im Suehirotei (末廣亭) in Shinjuku, um mir Rakugo (落語) anzusehen.
Rakugo hat eine jahrhundertelange Tradition. Der Geschichtenerzähler sitzt dabei allein auf der Bühne und nutzt nur seine Stimme, Gesten, ein kleines Handtuch und einen Fächer, um das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Im Rakugo spielt der Erzähler alle Rollen der Geschichte selbst, indem er Stimme und Gestik ändert.
Anders als bei der Stand Up Comedy sind die Geschichten bereits bekannt, sie sind teils bereits über hundert Jahre alt. Ein guter Geschichtenerzähler schafft es trotzdem, das Publikum mitzureißen und zum Lachen zu bringen.
Ein Beispiel einer Geschichte: Ein Mann behauptet vor seinen Freunden, vor nichts Angst zu haben. Schließlich gibt er zu, dass ihn Manju (japanische Reiskuchen) erschrecken. Seine Freunde spielen ihm einen Streich und legen ihm viele Manju ins Zimmer, während er schläft. Er tut so, als habe er große Angst, isst dann aber alle Reiskuchen genüsslich auf. Als die Freunde merken, dass sie reingelegt wurden, fragen sie wütend, wovor er wirklich Angst hat. Seine Antwort: „Jetzt hätte ich Angst vor einer heißen Tasse Tee!“
Auf Japanisch klingt das dann so:
Jeder Rakugo-ka erzählt die Geschichte ein wenig anders und macht sie so zu seiner eigenen.
Wer das live erleben möchte, kann das in verschiedenen Theatern im ganzen Land. In Tokyo gibt es vier: In Ueno das Yose Theater Suzumoto (上野鈴本演芸場), in Ikebukuro die Ikebukuro Engei Hall (池袋演芸場), in Asakusa die Asakusa Engei Hall (浅草演芸ホール) und in Shinjuku das Suehirotei (末廣亭).
Über das Suehirotei stolpert man in den Hinterstraßen Shinjukus. Zwischen Restaurants und Bars kann es einen mit seinem traditionellen Aussehen etwas überraschen. Der Eintritt beträgt mittags 3.000 ¥ (ca. 18 €), abends 2.500 ¥ (ca. 15 €). Vorstellungen finden zwischen 12 und 16:15 Uhr und 16:45 und 20:30 Uhr statt und man kann das Theater jederzeit betreten oder verlassen.
In den Theatern (寄席 Yose) wird nicht nur Rakugo gezeigt, sondern auch andere Formen der Unterhaltung geboten. Es treten Komiker auf (漫才 Manzai), Geschichtenerzähler anderer Kunstrichtungen (z.B. 講談 Kōdan), und in unserem Fall waren ein Papierfigurenschneider und zwei Artisten dabei. Für Abwechselung ist also gesorgt.
Tatsächlich fanden wir es so spaßig, dass wir über drei Stunden dort waren. Der relativ kleine Saal erzeugt eine familiäre Atmosphäre, in der wir immer noch ein bisschen mehr Zeit verbringen wollten. Den Saal darf man übrigens leider nicht fotografieren, aber wer interessiert ist: Das Video zu Yonezu Kenshis “Shinigami” wurde dort gedreht:
Für Menschen mit guten Japanischkenntnissen ist ein Besuch auf jeden Fall zu empfehlen. Ich bearbeite derzeit meinen Mann, mit mir zum Theater in Asakusa zu gehen. 😀
Was für eine schöne Geschichte! Nur richtige Freunde würden das nicht tun, eher Saufkumpane 😉