Japan kurz vorm Kollaps: Der große Reismangel von 2024

Der durchschnittliche Japaner isst pro Jahr 55,2 kg Reis. Das Grundnahrungsmittel wird in japanischen Supermärkten meist in 2- oder 5-kg-Beuteln verkauft. Die Auswahl ist groß, fast jeder hat einen Lieblingsreis auf den er schwört. Der meistverkaufte Reis in Japan ist übrigens Koshihikari (コシヒカリ), vor allem aus der Präfektur Niigata. Koshihikari ist weich, ohne seine Struktur zu verlieren, und ein wenig süß.

In den letzten Wochen und Monaten ist die Reisabteilung in unserem Supermarkt aber immer weiter geschrumpft und derzeit darf man in vielen Supermärkten pro Familie nur einen Sack Reis kaufen. Der Grund: Japan verschlingt mehr, als es produziert.

Das verunsichert die Bevölkerung natürlich. In Deutschland wären sicher auch alle ein wenig besorgt, wenn die Bäckereien kaum noch Angebot hätten.

In der öffentlichen Diskussion wurde der Miesepeter natürlich erst einmal den Touristen zugeschoben: Nicht nur, dass die sich nicht benehmen können, jetzt futtern sie den Japanern auch noch den Reis weg! Unglaublich!

Mehr: Wie der Übertourismus Japan vor Herausforderungen stellt.

Die Ursache liegt natürlich woanders: Japan kontrolliert die Reisproduktion um die Preise hoch zu halten. Das nennt sich Anbauflächen-Verminderungs-Politik (減反政策 Gentan-Seisaku). Landwirte werden dafür bezahlt, ihre Felder für andere Nutzpflanzen zu verwenden oder brachliegen zu lassen. Laut Experten werden derzeit nur 60% der Reisanbauflächen für Reis verwendet.

Offiziell endete die Anbauflächen-Verminderungs-Politik zwar 2018, doch die Realität sieht anders aus. Die Produktionslimits wurden zwar aufgehoben, doch die Subventionen für den Anbau anderer Pflanzen bestehen weiter. Das bedeutet, die Bauern haben nach wie vor keinen Anreiz, Reis in vollem Umfang anzubauen.

Vor diesem Hintergrund der eh verknappten Reisproduktion geschahen nun drei Dinge, die die Situation verschärften:

  • Am 1. Januar traf ein starkes Erdbeben auf Ishikawa, eine Küstenpräfektur am japanischen Meer. Den Japanern wurde einmal wieder klar, dass auf ihrem Stück Erde Erdbeben an der Tagesordnung sind und fingen an, sich mit Lebensmitteln und Wasser einzudecken. Das wiederholte sich im März und Juni bei Erdbeben in der Kantō-Region. Die Japaner kauften also einfach mehr Reis als normalerweise.
  • Außerdem sind tatsächlich mehr Touristen als jemals zuvor im Land, die auch Reis essen. Da die Reisproduktion streng kontrolliert wird, führt diese zusätzliche Nachfrage zu spürbaren Engpässen.
  • Schließlich sorgten die Medienberichte über den drohenden Reismangel für Panikkäufe. Im August, kurz vor der neuen Reisernte, als die Lagerbestände ohnehin niedrig waren, stürmten die Menschen die Läden, um sich Reis zu sichern.

Das Problem wird sich mit dem Eintreffen der neuen Ernte erst einmal entspannen, bis es dann nächstes Jahr wieder losgehen kann. Vielleicht ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, ob es wirklich sinnvoll ist, ein so wichtiges Grundnahrungsmittel künstlich zu verknappen. Aber die Räder der japanischen Politik mahlen bekanntermaßen ganz besonders langsam…

2 Gedanken zu „Japan kurz vorm Kollaps: Der große Reismangel von 2024

  1. Lennart sagt:

    Das ist doch völlig absurd, die Schuld den Touristen zu geben. Du beschreibst es zwar zunächst ironisch, aber fügst du selbst folgenden Absatz an: “Außerdem sind tatsächlich mehr Touristen als jemals zuvor im Land, die auch Reis essen. Da die Reisproduktion streng kontrolliert wird, führt diese zusätzliche Nachfrage zu spürbaren Engpässen”.
    Das kann nur völlig falsch sein.

    30 Millionen Menschen, die sich für jeweils nur zwischen 5 und 20 Tagen in Japan aufhalten mit 120 Millionen Japanern, die 365 Tage im Jahr dort sind, in Zusammenhang zu bringen, ist m.E. nicht in Ordnung. Das sind etwa 0,7% zusätzliche Nachfrage nach Reis! So etwas erklärt nicht die Notwendigkeit einer spürbaren Rationierung.

    Die wahren Gründe dürften keine der genannten sein, sondern global gestiegene Reispreise, durch Ausfuhrbeschränkungen (v.a. nach Japan) großer Reisproduzenten (China, Südostasien), eine gestiegene Binnennachfrage des größten Reisexporteurs der Welt (Indien) und die Klimakatastrophe, die gerade in Asien immer öfter Reisplantagen beschädigt, oder die Qualität schrumpfen lässt, dass sie japanischen Einfuhrbestimmungen nicht mehr entspricht.

    Übrigens produziert Japan etwas mehr als 10 Millionen Tonnen Reis pro Jahr. Das reicht für die direkte Ernährung, aber darin ist wohl kein Futterreis, exportierter Reis oder Reis, der anderweitig verarbeitet wird, eingerechnet. Es dürfte also der internationale Markt sein, der das japanische Reisangebot bestimmt.

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