Japanische Fankultur, oder “Was ist eigentlich ein Oshi?”

Es macht Spaß, in Japan Fan zu sein. Es gibt haufenweise Events, Ausstellungen, Merchandise und Kollaborationen für die bekanntesten Bands, Anime, Filme und Charaktere. Wenn man Fan einer beliebten “Franchise” (in Ermangelung eines besseren Wortes) ist, hat man immer etwas zu tun.

Japaner lieben ihre Oshi (推し) und die japanische Marketingindustrie liebt die Fans.

Oshi ist ursprünglich ein Begriff aus der Idol-Kultur. Idol-Gruppen bestehen aus einigen bis vielen jungen Männern oder Frauen, die tanzen und singen, aber hauptsächlich für ihr Aussehen, ihr Image und ihre Attraktivität wertgeschätzt werden. Die Vermarktung dieser Idols abseits ihrer Musikauftritte führt zu einer parasozialen Beziehung mit den Fans. Kurz gesagt: Die Fans glauben, “ihr” Idol wirklich zu kennen und sehen es quasi als Freund.

Das Wort Oshi-men (推しメン), bestehend aus den Worten für “unterstützen” und “Mitglied”, gibt es bereits seit den 1980ern und beschrieb das Mitglied einer Idol-Gruppe, dass man besonders gern mag. Mit dem großen Erfolg der 48-köpfigen Mädchen-Idol-Gruppe AKB48 wurde das Wort Oshi dann auch von den Medien aufgegriffen und die Bedeutung auf “etwas, das man mag” ausgeweitet. Außerdem hat Nerd-Kultur, zu der Idol-Gruppen eindeutig gehören, einen Imagewandel erlebt und ist nicht mehr unbedingt etwas, das man verstecken muss.

Seit 2019 findet man Oshi auch in japanischen Wörterbüchern und seit einigen Jahren gibt es in verschiedenen Läden extra Regale für alles, was ein Fan für die richtige Vergötterung seines Oshis braucht.

Verwandte Worte sind Oshikatsu (推し活) und Oshigoto (推し事). Sie haben die gleiche Bedeutung und zeigen damit auch direkt den Unterschied zwischen europäischer und japanische Fankultur: Es geht um Unterstützung und Teilhabe.

Ein einfaches Beispiel ist die oben bereits erwähnte Gruppe AKB48: Darüber, wer dort im Mittelpunkt singen und tanzen darf, stimmen die Fans ab. Aber nicht einfach über eine Online-Abstimmung für Hinz und Kunz. Wer abstimmen will, braucht einen Stimmzettel. Der liegt der neusten CD bei. Pro gekaufter CD bekommt man also eine Stimme. Was macht man also, um den eigenen Oshi zu unterstützen? Man kauft CDs. Viele, viele CDs.

Oftmals gibt es auch die verschiedensten Versionen von CDs oder Extras, von denen man jeweils nur eines bekommt.

Zu den Geburtstagen von Idolen sieht man manchmal in der Stadt von Fangruppen in Auftrag gegebene und bezahlte Plakate hängen. Einerseits, um den Geburtstag zu feiern, andererseits um vielleicht ein paar Passanten für das Idol zu interessieren. Dieses starke Bedürfnis, die Künstler auch mit finanziellen Mitteln zu unterstützen, ist der japanischen (und koreanischen) Fankultur glaube ich sehr eigen.

Während im Westen davon ausgegangen wird, dass berühmte Leute sich sicher alles kaufen können, was sie brauchen, werden japanische Berühmtheiten zum Geburtstag mit teilweise sehr teuren Geschenken überhäuft. Die gefühlte Entfernung zu den Stars ist einfach näher, die Verbundenheit stärker. Im japanischen Internet gibt es ein Meme: “Ich habe (dieses Idol) aufgezogen” (わしが育てた). Die Fans fühlen sich für den Erfolg ihrer Oshi verantwortlich.

Genau das führt auch dazu, dass einige Fans sehr viel obsessiver sind und sich im Recht sehen das Handeln ihrer Oshi und deren Agenturen stark zu kommentieren und zu kritisieren. Es mangelt an Distanz. Einige erinnern sich vielleicht noch daran, dass sich vor inzwischen zehn Jahren eine japanische Künstlerin die Haare abrasierte, weil herausgekommen war, dass sie einen Freund hatte. In Europa und Amerika absolut unverständlich, ergab es in Japan vor dem Hintergrund der hiesischen Fankultur Sinn, obwohl es natürlich radikal war. Japanische Idols “gehören” ihren Fans als Projektionsfläche.

Bei Figuren aus Anime und Manga handelt es sich natürlich nicht um real existierende Personen, obwohl die Fixierung auf den Oshi ähnlich und die Kreditkarten der Fans gezückt sind. Rund um den Manga und die Anime-Adaption von “Jujutsu Kaisen” gibt es eine dermaßene Menge an Merchandise und vor allem Kollaborationen mit anderen Marken, dass es schon ein wenig lächerlich ist: Das Angebot reicht von Brillengestellen über frittierte Oktopus-Bällchen (Takoyaki たこ焼き) zu Badezusatz und Zahnbürsten. Wer möchte, kann sich komplett mit seinen Lieblingscharakteren umgeben. Ich will auch gar nicht wissen, wie viele verschiedene Aufkleber, Plastikaufsteller, Schlüsselanhänger und Figuren es zu der Serie inzwischen gibt. Irgendwo gibt es sicher einen Fan, der fünf von jedem einzelnen Artikel hat.

Natürlich geht es letztendlich um Geld. Aber ganz ehrlich: Wo nicht? Was ist daran verwerflich, jemanden unterstützen zu wollen (sofern es nicht überhand nimmt)? Ich freue mich immer riesig, wenn ich japanische Fans sehe, wie sie sich vor Werbepostern mit ihren Oshi darauf fotografieren. Ich habe mich auch vor meinem Oshi fotografieren lassen. Und ja, ich habe auch das “Jujutsu Kaisen”-Badesalz gekauft, weil mein Oshi drauf war. War das nötig? Nein. Hat es mir Spaß gemacht? Ja.

Ich persönlich glaube, dass die japanische Fankultur auch eine Antwort auf die Stress-Gesellschaft ist. Über die Hälfte der japanischen Arbeitnehmer fühlt sich in Bezug auf den Beruf sehr gestresst und besorgt. Vor allem der Ballungsraum Tokyo ist anstrengend. In solch einem aufreibendem Alltag ist der Oshi vielleicht der Fels in der Brandung, der einen zuverlässig den Stress vergessen lässt. Wie “echt” diese Beziehung ist, ist dann erst einmal zweitrangig. Oder vielleicht auch ganz unwichtig. 🙂

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