Alles redet mit mir.

Als ich 2008 das erste Mal nach Japan kam, gab es nur eine Sache, die mir ernsthaft Sorgen bereitete: Alles machte Geräusche. Alles erzählte mir irgendetwas. In einer Sprache, die ich nur ansatzweise sprechen konnte. Selbst heute wundert es mich noch ein wenig, wie man ständig zugelabert wird.

In der Bahn:

Es kann sein, dass wir um einem Unfall vorzubeugen plötzlich stoppen müssen, also halten Sie sich fest. In dieser Bahn gibt es Priority Seats für ältere Menschen, Menschen mit Bewegungseinschränkungen, Schwangere, die kleine Kinder dabei haben. Wir bitten Sie, in der Nähe der Priority Seats das Handy auszuschalten. Sehen Sie bitte im Rest der Bahn von Telefongesprächen ab.

Auf der Rolltreppe:

Bitte treten Sie nicht auf den gelb markierten Bereich. Bitte halten Sie sich fest. Bitte seien Sie vorsichtig.

Von einem Krankenwagen:

Bitte machen Sie den Weg frei, dies ist ein Krankenwagen.

Am Geldautomaten:

Bitte stecken Sie ihre Karte rein. Bitte geben Sie ihre PIN ein. Bitte geben Sie den abzuhebenden Geldbetrag ein.

Und all das erwartet Aufmerksamkeit von einem. Richtig ruhig ist es nicht einmal zuhause, denn jeden Tag um halb fünf gibt es folgende Ansage aus den großen Lautsprechern, die überall draußen installiert sind:

Dies ist eine Ansage. Es ist halb fünf und wird langsam dunkel, also spielt nicht mehr draußen.

Und um fünf gibt es natürlich ein Glockengebimmel um den Feierabend einzuläuten.

Zum Glück lebe ich nicht in Shinjuku oder an ähnlichen Orten, wo sich zu all dem auch noch der Krach der Geschäfte gesellt. Marktschreien ist hier nämlich noch in Mode.

0 Gedanken zu „Alles redet mit mir.

  1. anjifrosch sagt:

    AHAHAH! Tut mir Leid, dass ich hier so ungefragt reinplatze, aber ich musste grad lachen.
    Köstliich, wie trocken du das rüberbringst! Und du hast recht!
    Irgendwie wird man von allen Seiten vollgequatscht – Sei es Mensch oder Maschine 🙂

  2. kallisto73 sagt:

    Kenn ich, fand ich auch immer ätzend. Auch immer die autistisch in die Welt schreienden Kaufhausangestellten. Nichts fördert bei mir den Herzinfarkt so gut, wie ein plötzlich aus dem Nichts kommender Schrei “Herzlichwillkommenkaufensiebeiunseinundvielendank!” wenn man gaaanz alleine und ruhig vor einem Regal mit DVDs steht und nicht gesehen hat, daß auf der anderen Seite des Regals ein Mitarbeiter einräumt, der dann, wie in Japan üblich, alle 10 Minuten die (nicht vorhandene) Kundschaft begrüßt.

    Und total von der Rolle gebracht wurde ich am Flughafen in Kyoto, wo ich mit vollem jetlag und todesangenervt, übermüdet und halb verhungert umherirrte, nur um plötzlich von einer Frau aus dem Hinterhalt angesprochen zu werden. Ich drehte mich um meine Längsachse, rollte mit den Augen wie ein Doof, und war total entsetzt, weil NIEMAND da war. Erst später wurde mir klar, daß die Rolltreppe, die einen Meter neben mir verlief, sich entschlossen hatte, mit mir Konversation zu machen.
    Ich war kurz vorm Durchdrehen.

  3. Schlopsi sagt:

    Gewöhnt man sich da dran, oder gibt es immer noch Tage, an denen einem das Genöle der Maschinen auf den Sender geht?
    Meine Ohren wären vermutlich immer überfordert. 😉

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