Wie Japan und die Zeit mich verändert haben.

Manchmal fällt mir auf, wie sehr ich mich im Laufe der Jahre verändert habe. Das merke ich entweder zurück in Deutschland, oder in der Interaktion mit anderen Ausländern, vor allem denen, die erst kurz hier sind, oder auch einfach mal so zwischendurch. Bitte immer daran denken, dass ich mich mit mir selbst vor fast 5 Jahren vergleiche, das Alter mag also durchaus auch eine Rolle spielen. 😉

1. Nicht anfassen!

Nach durchgängig vier Jahren in Japan bin ich es überhaupt nicht mehr gewohnt, Leuten die Hand zu schütteln oder zur Begrüßung oder Verabschiedung zu umarmen. Man macht es in Japan einfach nicht, plötzlich Bekannten sehr nah zu kommen ist eigenartig. Fühlt euch also nicht beleidigt, wenn ich mal nur winke. 😉

2. Claudia ist jetzt ein richtiges Mädchen!

Bevor ich nach Japan kam, hatte ich, wenn überhaupt, nur wenig sehr günstiges Make-Up, vier Paar Schuhe und zwei Handtaschen. Das ist jetzt ein klein wenig anders. Make-Up trage ich noch immer nicht jeden Tag, aber wenn ich am Wochenende ausgehe oder nach der Arbeit etwas vorhabe, kann ich es inzwischen auf Tasche und Schuhe abstimmen. 😀 Ich habe inzwischen auch tatsächlich mehr Röcke als Hosen, aber das mag etwas mit japanischen Größen zu tun haben.

3. Dann bin ich halt groß.

Ich bin mit 171cm Körpergröße in Japan recht groß. Es gibt größere Japanerinnen als mich, aber die meisten sind kleiner. Als ich zuerst hier war, wollte ich keine Schuhe mit hohen Absätzen tragen, um nicht noch mehr aufzufallen. Letztendlich ist es aber total egal, wie groß ich bin – auffallen tue ich sowieso. Ob ich zusätzlich froschgrüne Absatzschuhe trage, ist dann auch egal. Auf Arbeit habe ich übrigens eine 177cm große japanische Mitarbeiterin die jeden Tag hohe Schuhe trägt und einfach fantastisch aussieht. 😀 Inspiration!

4. Die japanische Denke färbt ab.

Das japanische Allgemeingedankengut hat so einige Aspekte, die nicht ganz cool sind. Tattoos sind schlecht, Menschen, die von der Norm abweichen, werden nie erfolgreich sein, und wer mit Mitte 30 noch nicht unter der Haube ist hat einen Defekt.

Manchmal muss ich mich wirklich hinterfragen, um diese Allgemeinplätze nicht einfach zu wiederholen. Eigentlich weiß ich es natürlich besser, aber die Umwelt beeinflusst einen doch mehr, als man es zugeben möchte.* Japan hat eine ganz andere Vorstellung davon, wie ein “guter Mensch” oder ein “gutes Leben” aussieht. Das Korsett dieses Ideals ist unglaublich eng, passt nur wenigen Menschen, und lässt keinen Raum für Individualität. Auf eine gute Schule gehen, auf eine gute Uni gehen, einen guten Job bekommen, mit Mitte 20 heiraten, mit Ende 20 Kinder, arbeiten, arbeiten, arbeiten, Rente. Dazwischen bloß nicht aus dem Rahmen fallen. Da in meinem Kopf etwas entgegenzusetzen ist manchmal gar nicht so einfach.

* Wieviele Menschen glauben, dass Werbung sie ganz sicher nicht beeinflusst?

5. Nur für kurze Zeit? Muss ich haben!

Ich habe bereits einen ganzen Eintrag über 期間限定 (Kikangentei; für begrenzte Zeit verfügbar) geschrieben. In Japan hat so gut wie jeder Laden irgendetwas, was man nur kurzzeitig erstehen kann. Starbucks hat in Japan so gut wie immer irgendein Spezialgetränk, MOS Burger hat immer irgendeinen besonderen Burger und bei Mister Donut gibt es auch immer etwas anderes. Wenn es etwas nur kurzzeitig gibt, stelle ich mich dafür auch an. Was mich zum nächsten Punkt bringt…

6. Ich bin Schlangenbezwingerin.

Japaner mögen lange Schlangen zwar nicht, aber für sie ist Anstehen kein Grund aufzugeben. Bei Restaurants gibt es regelmäßig Schlangen, weil der Laden einfach voll ist. Dann setzt man sich eben auf dafür hingestellte Stühle und wartet. Oder schreibt seinen Namen auf eine Liste und wartet. Wenn es wirklich zu lange dauert, geben wir natürlich auch auf, aber das ist bisher kaum mal passiert.

In Deutschland würde man wahrscheinlich statt zu warten einfach zu einem anderen Restaurant gehen…

Gibt es etwas, was sich an euch verändert hat, seit ihr ins Ausland gezogen seid? Schreibt es mir in die Kommentare! 🙂

Unerwartete Unterschiede im Haushalt.

IMG_3791Wenn man 8900km von Zuhause wegzieht, erwartet man einen gewissen Kulturschock. Sicher ist im neuen Land alles anders, in Japan fahren die Leute schließlich sogar auf der anderen Straßenseite und die Japaner verbeugen sich ständig.

Ich hatte keinen großen Kulturschock, eher einen Hitzeschock,und bin sehr gut in Japan angekommen. Natürlich hat mich einiges verwundert, unter anderem, dass alles mit einem spricht. Alles.

Die wahren Schocks kamen dann eher bei kleinen und scheinbar unwichtigen Dingen.

Waschmaschinen waschen kalt

Als ich meinem Mann erzählte, dass wir in Deutschland durchaus auch warm waschen, glaubte er mir erst nicht. In Japan wird nicht warm gewaschen, außer man hat viel Geld für eine teure Waschmaschine. Aber wozu braucht man solchen Schnickschnack denn, hat doch bisher auch immer funktioniert.

Mein Mann: Was macht ihr in Deutschland denn mit euren Klamotten, dass ihr die heiß waschen müsst?!

Ein Problem des Kaltwaschens, vor allem in Verbindung mit der feuchten Luft in Japan, ist, dass die Wäsche fürchterlich anfängt zu stinken, wenn man sie nicht draußen aufhängt. Selbst mit Superspezialwaschmittel. 🙁

Ofen nur für Fisch

Japanische Wohnungen haben keine Öfen. In den Einbauküchen ist kein Platz für einen Ofen vorgesehen, und unter unseren Herdplatten befindet sich nur ein kleiner Fischgrill. Der ist übrigens noch immer wie neu, weil wir zuhause keinen Fisch zubereiten. 😉

Irgendwie backen und überbacken Japaner für gewöhnlich nichts, was man nicht auf in der Mikrowelle machen könnte. Die ersten Valentinstagskekse, die ich für meinen Mann gemacht haben, kamen aus der Mikrowelle… Bei mir zuhause in Deutschland gab und gibt es noch immer keine Mikrowelle, weswegen ich unsere in Japan schon öfter fast in die Luft gejagt habe. Ich habe noch immer nicht wirklich einen Plan, was da nicht reingehört.

Da mein Mann gern bäckt und ich gern überbacke, haben wir letztes Jahr einfach Geld gegen das Problem geworfen und uns eine Mikrowellen-Ofen-Kombination gekauft. Die ist immernoch nur halb so groß wie der Ofen, den wir in Deutschland hatten, aber es gab letztes Jahr endlich Weihnachtsplätzchen. 😀

Und Abwaschen per Hand

Bei meinen Eltern war das Ausräumen des Geschirrspülers oft ein Konfliktpunkt. Ich fand es nervig, aber meine Eltern wollten mir einen Sinn für Hausarbeit mitgeben. Oder hatten auch keine Lust drauf. Bei Eltern weiß man das nie so ganz. 😉

Obwohl es auch in Japan Spülmaschinen gibt, habe ich noch nie außerhalb des Elektrofachmarktes eine gesehen. Ich denke das hängt wieder mit dem Platz zusammen: Wo in unsere kleine Küche soll ich bitte eine riesige Maschine hinstellen? Es gibt in Japan zwar auch kleine Spülmaschinen, die man auf die Arbeitsfläche stellen kann, aber selbst dafür haben wir eigentlich nicht genug Platz. Und so waschen wir per Hand ab, jeden Tag…

Das sind natürlich alles Probleme, die man lösen kann, wenn man denn genug Geld und/oder Platz hat. Aber die meisten, die das erste Mal nach Japan ziehen, würden wahrscheinlich keinen Gedanken daran verschwenden, was im Haushalt anders sein könnte. Jetzt wisst ihr Bescheid. 😉

Gibt es noch andere kleine Dinge, die euch in Japan (oder einem anderen Land) überrascht haben?

Nicht ganz auf der Höhe.

Liebe Leserinnen und Leser, ich kränkle derzeit etwas vor mich hin.

Eine kränkelnde Autorin ist weder wortgewandt noch lustig, sondern vor allem irgendwie … だるい (darui; träge, schwerfällig). Dazu kommt, dass ich einen langen Eintrag über ein Thema schreibe, das hier normalerweise nicht angesprochen wird*, und dass plötzlich Leute aus der Versenkung auftauchen, die an mir zerren. Insgesamt also suboptimal, dabei fahren wir doch nächste Woche in den Kurzkurzurlaub.

* Traditionelle Pornographie. Wirklich.

Solange meine Energie nicht zurückkommt, werde ich hier auch weniger schreiben. Das tut mir immer so leid, weil eigentlich hätte ich ja total viele Themen – sie fallen mir nur gerade nicht ein. Wie gesagt, mein Kopf ist träge.

Entschuldigt also den Mangel an Einträgen, auch dass es auf Facebook und Instagram so ruhig ist. Wird alles wieder besser, versprochen!

Die schwarzen Schafe der japanischen Arbeitswelt.

 

Ihr macht ständig Überstunden ohne Bezahlung? Ihr könnt euch nie freinehmen? Ständiger Druck? Leute arbeiten bis sie ausbrennen und kündigen? Anzeichen von PTSD? Dann seid ihr wahrscheinlich bei einer ブラック企業 (Burakku (black) Kigyô; schwarzen Firma) gelandet.

Mit dem Begriff bezeichnete man ursprünglich Firmen mit Beziehungen in die japanische Unterwelt, seit Ende der Bubble (バブル, ein Wirtschaftswunder zwischen 1986 und 1992 – das dann wie eine Seifenblase zerplatzte) bezeichnet es auch Firmen, die alles andere als sorgfältig mit ihren Mitarbeitern umgehen. Während der Bubble gab es viel Geld und schnelle Autos – aber auch großen Wettbewerb und unmenschliche Arbeitsbedingungen. Zuckerbrot und Peitsche im Großformat.

Schwarze Firmen setzen nur noch die Peitsche ein. Unbezahlte Überstunden (サービス残業; Sâbisu (Service) Zangyô), schlechte Bezahlung, Vorgesetzte, die keine Verantwortung übernehmen – und vor allem: Vorgesetzte, die während der Bubble in die Firma gekommen sind und meinen, die heutige Generation sei weich, wenn sie sich nicht komplett für die Arbeit verausgabt.

Damals haben wir noch viel härter gearbeitet, ich habe meine Familie damals die ganze Woche lang nicht gesehen.

Sprach’s zum neuen Mitarbeiter, der seinen Vater damals nur am Wochenende gesehen hat – wenn überhaupt. Die Generation, die mit effektiv alleinerziehenden Müttern aufgewachsen ist, hat oft andere Werte. Mein Mann will nicht nur in den öffentlichen Dienst wechseln, weil er der Gemeinschaft dienen will. Er will vor allem Vaterschaftsurlaub.

Dabei ist seine Firma nicht einmal schwarz, sondern höchstens dunkelgrau. Seine Überstunden werden immer bezahlt. Wenn er zu viele Überstunden macht*, muss er zum Firmenarzt, der zumindest halbherzig nach Anzeichen für Suizidgefahr sucht.

* Rekord: 160 in einem Monat. Inzwischen liegt er aber weit darunter.

Verantwortlich für die Überprüfung der Einhaltung des Arbeitsrechts ist das 厚生労働省 (Kôseirôdô-shô; Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Soziales). Es überprüft seit 2013 Aufzeichnungen zu geleisteten Überstunden, etc., und plant in Zukunft die Namen von schwarzen Firmen zu veröffentlichen.** Aber natürlich sind die vom Ministerium nicht die ersten, die versuchen schwarze Firmen aufzulisten und an den Pranger zu stellen.

** Falls sie schon veröffentlicht wurden und ihr wisst, wo man sie findet, bitte kommentiert.

Die Leute vom ブラック企業大賞 (Burakku (black) Kigyô Taishô; großen Preis für schwarze Firmen – Untertitel: “Most Evil Corporation of the Year” Award) listen für 2014 die aus ihrer Sicht schlimmsten 11 Firmen, jeweils mit Begründung. Die Liste wird angeführt von der Firma 大庄 (Daisyo), die mehrere 居酒屋 (Izakaya; japanische Bars) unterhält. 2007 war ein 24-Jähriger nach nur vier Monaten mit durchschnittlich 276 Arbeitsstunden, das sind 65 Wochenstunden, an plötzlichem Herzversagen gestorben – 過労死 (Karôshi; Tod durch Überarbeiten). Das Gericht entschied, dass die Verantwortung bei Daisyo liegt. 2013 wurde den Eltern eine Entschädigung von 78.600.000Yen (ca. 582.420€) zugesprochen.

Wenn das Arbeitsministerium endlich seine Liste veröffentlicht, es stehen wohl 4000 Firmen in Japan unter Verdacht, wird es sich allerdings wohl auch selbst nennen müssen. Es gibt Berichte von Mitarbeitern, die für 180 Überstunden mit nur 30,000Yen (ca. 222€) enlohnt wurden. Das sind in etwa 167Yen oder 1,24€ pro Stunde. Das schwarze Schaf enttarnt andere schwarze Schafe? Auch spannend.

Es gibt in Japan natürlich auch Firmen, die ihren Mitarbeitern ein Privatleben zugestehen, und wo man sich auch einmal freinehmen kann. Aber die japanische Arbeitswelt ist anders, und daran wird sich erst wirklich etwas ändern, wenn die auf den oberen Rängen in den Ruhestand gegangen und von Jüngeren ersetzt werden. Immerhin wird bei der Firma meines Jahres nicht mehr jeden zweiten Tag, wie damals bei meinem Schwiegervater, zur 飲み会 (Nomikai; Trinkfeier) gerufen.

Leben in Japan ist zwar absolut nett, nur in einer japanischen Firma zu arbeiten will man eigentlich eher nicht.

P.S. Es gibt immer mal wieder sensationelle Meldungen über Japaner, die am Schreibtisch auf Arbeit schlafen können. Firmen, bei denen das möglich ist, haben Mitarbeiter, die pro Nacht nur vier Stunden schlafen können, weil der Rest von Arbeit bestimmt ist. In den meisten Firmen ist Schlafen am Arbeitsplatz dann doch nicht erlaubt.