Es ging einmal, in grauer Vorzeit (2004), ein soziales Netzwerk online. Anfangs brauchte man eine Einladung, um daran teilnehmen zu können, aber wenn man drin war, konnte man sich mit seinen Freunden unterhalten, Fotos teilen und an Gruppen zu verschiedenen Themen teilnehmen.
Es handelt sich hierbei nicht um Facebook, sondern um einen der Hauptgründe, warum Facebook in Japan nie so richtig Fuß fassen konnte: mixi. mixi war auf japanische internetfähige Klapphandys, sogenannte ガラケー (Garakee als Kurzform von Galapagos-Syndrom-Handy) optimiert und bot alle Funktionen, die Facebook auch hatte. Zwar konnte man sich nur mit einer japanischen Handynummer registrieren, wodurch sich Menschen im Ausland nicht registrieren konnten, aber für die meisten Japaner stellte das kein Problem dar. Wer Freunde im Ausland hatte, nutzte eben zusätzlich Facebook.
Insgesamt kann man mixi mit StudiVZ oder SchülerVZ im deutschsprachigen Raum vergleichen, aber mixi hatte für die japanischen Nutzer noch einen weiteren großen Vorteil: Keine Klarnamenspflicht. Japaner sind vorsichtiger mit ihrer Privatsphäre. Auf Plattformen wie Tinder zeigen viele Nutzer kein Foto von sich selbst, sondern Bilder von Haustieren oder Essen. Man will nicht unerwartet von Bekannten erkannt werden.
Deswegen wanderten viele mixi-Nutzer auch nicht zu Facebook, sondern zu Twitter ab. Twitter hat heute in Japan eine Reichweite von etwa 70 Millionen Nutzern – und war lange eine der beliebtesten Plattformen des Landes. Doch auch Twitter steht mittlerweile unter Druck: インプレゾンビ (Imprezonbi, von “Impression Zombies”), Spam-Accounts und Bots überschwemmen die Plattform. Zusätzlich verschreckt die Tatsache, dass hochgeladene Bilder für KI-Training genutzt werden, viele Nutzer. Besonders für Künstler, die Twitter zur Vernetzung und für den Austausch nutzen, ist das problematisch.
Inmitten dieser Landschaft der sozialen Netzwerke tauchte gestern plötzlich ein neuer alter Herausforderer auf: mixi2.
Auf den ersten Blick sieht es aus wie Twitter: Man kann Personen folgen und sieht ihre Posts. Aber anders als auf Twitter werden Communities, Interessengruppen, hervorgehoben. Man kann Gruppen beitreten – etwa für Katzenfotos oder für lokale Themen – und sich innerhalb dieser Gruppen austauschen. Dieses Konzept erinnert an die Nutzung von Facebook als Ort für Gruppendiskussionen und gemeinsame Interessen.
Mir fehlt noch ein wenig ein Alleinstellungsmerkmal der neuen Plattform. Aktuell hebt sich mixi2 durch die kleine Nutzerbasis und den freundlichen Umgangston ab. Es gibt keine Bots, keinen Spam und auch keine Werbung – ein Luxus, den andere Plattformen schon lange nicht mehr bieten. Doch dieser Vorteil könnte mit wachsender Popularität schwinden. Die große Frage ist, wie mixi2 Geld verdienen will, ohne die Nutzerfreundlichkeit zu opfern.
Außerdem habe ich das Gefühl, dass die Nutzerbasis ein wenig älter ist, als es bei neuen Netzwerken normalerweise der Fall ist. Für gewöhnlich nutzen zuerst Schüler eine neue Plattform und Erwachsene nehmen später daran teil. mixi2 ist für Leute nostalgisch, die in den frühen 2000ern im Internet unterwegs waren. Das zeigt sich auch in den Communities: Der Twitter-Alten-Treff (Twitter老人会 Twitter-Rōjinkai), Unser 1989-2019 (ウチらの平成 Uchira no Heisei), Erinnerungen an mixi (mixiの思い出を語ろう mixi no omoide wo katarō).
Eines ist sicher: Wenn mixi2 scheitert, steht bestimmt schon das nächste soziale Netzwerk in den Startlöchern.