Tele: Zanzō no Aishikata Tour-Finale in Yokohama

Anfang des Jahres hatte ich mir eine Bingo-Karte mit Dingen, die ich dieses Jahr machen möchte, gebastelt. Eines der Felder lautet “Konzert in einem Live House” (Live Houses sind Clubs, in denen Bands spielen). Eigentlich war der Plan, dass ich den Musiker Tele in solch einem kleineren Rahmen sehen würde. Dummerweise war aber das einzige Konzert seiner Tour “Zanzō no Aishikata” (残像の愛し方, in etwa “Wie man das Nachbild liebt”) in meiner Nähe auch das einzige, das nicht in einem Live House, sondern in der Yokohama Arena stattfand.

Tele ist das Soloprojekt von Taniguchi Kitarō. Der 24-Jährige macht Pop-Musik, die mir in ihrer emotionalen Direktheit in Kombination mit abstrakten und gleichzeitig sehr spezifischen Texten direkt ins Herz geht. Auf Japanisch sagt man dazu “fu ni ochiru” (腑に落ちる), was gern mit “es ergibt Sinn” übersetzt wird – die wörtliche Übersetzung “es fällt mir auf die Eingeweide” beschreibt es aber viel besser. Für manche Texte braucht es mehrere Anläufe, bis ich sie verstehe, aber an einem bestimmten Punkt sind die Sprachbilder einfach in mir drin und bleiben dort stecken. In Interviews und Artikeln wird Tele oft als Dichter bezeichnet. Manche Zeilen aus seinen Liedtexten erinnern mich an diese prägnanten Sätze in Romanen, die einem lange nach dem Lesen plötzlich wieder in den Sinn kommen.

風呂桶が映した僕を
掬い取って今日を流し落とした
Ich schöpfte mich aus Badewanne und wusch den heutigen Tag ab

残像の愛し方 Zansō no Aishikata (im Original besser, weil ich keine Übersetzerin bin)

Ich weiß auf jeden Fall schon, wer Ende des Jahres in meinen Spotify Top 10 auftauchen wird.

Der Einlass in Yokohama begann um 17 Uhr. Allerdings durfte man den Saal noch nicht betreten, weswegen sich immer mehr Menschen in den Gängen stauten. Sehr unangenehm, zumal für die Menschenmassen – in die Arena passen bis zu 17.000 Leute – auch nicht ausreichend belüftet wurde. Da vermeide ich schon die Bahnen zur Hauptverkehrszeit, und dann das.

Um kurz vor 18 Uhr wurden endlich die Türen zum Saal geöffnet. Die Bühne befand sich in der Mitte der Arena und war mit riesigen weißen Vorhängen verhangen. Deren Sicherheitsinspektion war letztendlich auch, weswegen der Einlass sich verspätet hatte.

Dreißig Minuten später kam Tele auf die Bühne – und verschwand direkt hinterm Vorhang. Dort blieb er den ersten Teil des Konzerts auch. Der Vorhang wurde als Projektionsfläche für vorbereitete und live aufgenommene Videos, LED-Lichtshows und Schattenspiele von der Bühne aus genutzt. Einerseits bedeutet das natürlich, dass man auf jedem Sitzplatz etwas sehen kann. Andererseits würde ich schon ganz gern den Künstler sehen.

Auch nachdem der äußere Vorhang spektakulär entfernt worden war erschwerte noch immer ein dünner innerer Vorhang den Blick auf die Bühne. Erst bei den letzten Liedern konnte man Tele und die Musiker wirklich sehen. Nachdem er das Konzept erklärt hatte – es ging darum wie er nach seinen ersten Erfolgen letztes Jahr plötzlich kindheitstraumabedingt Panikattacken in dunklen Rämen bekam – war aber alles verziehen. Dass jemand, der in seinen Texten in Metaphern redet, für seinen bisher größten Auftritt eine riesige Metapher vorbereitet hatte, überraschte nun auch nicht wirklich.

Zumal er dann auch ins Publikum kam (“Das wollte ich schon immer mal machen!”) und es generell einfach eine Freude war ihm zuzusehen. Meine Freundin, die ich mitgeschleppt hatte, fragte irgendwann: “Sag mal, ist der möglicherweise einfach total putzig?!” Ein eindeutiges Ja von mir. 🙂

Diese Kraft, der Realität und seiner eigenen Schwäche ins Auge zu gucken und trotzdem Spaß zu haben, ist ein Grund, dass es mich freut, dass das Publikum beim Konzert sehr jung war. Wir waren mit unseren Mitte 30 eindeutig in der Minderheit. Auch geschlechtertechnisch war es sehr durchmischt (bei Yonezu Kenshi sind z.B. immer viel mehr Frauen).

Nach zwei Stunden war das Konzert dann auch vorbei, auf dem Heimweg habe ich aber schnell noch das neue Album, das heute veröffentlicht wird, vorbestellt. Titel: 「残像の愛し方、或いはそれによって産み落ちた自身の歪さを、受け入れる為に僕たちが過ごす寄る辺の無い幾つかの日々について。」(“Zanzō no aishikata, arui wa sore ni yotte umiochita jishin no ibitsusa wo, ukeireru tame ni bokutachi ga sugosu yorube no nai ikutsuka no hibi ni tsuite.”), “Über die Art und Weise, wie wir das Nachbild lieben, oder über die vielen Tage ohne Zuflucht, die wir damit verbringen, das Zerrbild von uns selbst zu akzeptieren, das es erzeugt hat.”. Zum Glück musste ich den Albumtitel nicht laut aufsagen. 😀

Zwar habe ich das Bingo-Feld “Konzert in einem Live House” nicht abhaken können, dafür demnächst dann “Musikfestival”. Dann sehe ich Tele nämlich auf einem kleinen Festival im alten Expo-Park in Osaka. 🙂

Veröffentlicht in: Musik

2 Gedanken zu „Tele: Zanzō no Aishikata Tour-Finale in Yokohama

  1. Sheila sagt:

    Danke für den Post! Es mag aus der Luft gegriffen sein, aber ich frage mich was “Sag mal, ist der möglicherweise einfach total putzig?!” auf japanisch sein würde?

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