Tokyos teuerster Zirkus: Die Wahl um den Gouveneursposten.

Die die Wahl des Gouverneurs von Tokyo, ist ein bedeutendes politisches Ereignis in Japan. Als die bevölkerungsreichste und wirtschaftlich bedeutendste Präfektur Japans hat Tokyo eine zentrale Rolle in der japanischen Politik und Wirtschaft. Der Gouverneur von Tokyo trägt eine immense Verantwortung und beeinflusst nicht nur die Geschicke der Präfektur Tokyo, sondern auch nationale und internationale Angelegenheiten.

Die nächste Wahl steht am 7.7. an. Ein Rekord von 56 Kandidaten haben sich zur Wahl gestellt, und der Wahlkampf wird mehr und mehr zur absurden Komödie.

Warum rede ich ausdrücklich von der Präfektur Tokyo? Die Präfektur Tokyo besteht neben der Stadt Tokyo aus noch weiteren Städten. Erstere besteht aus 23 Bezirken, die allesamt wie einzelne Städte funktionieren und ihre eigenen Bürgermeister haben. Diesmal geht es um die Wahl des Gouveneurs von Tokyo. Der Posten wird derzeit von Koike Yuriko (小池百合子) besetzt. Sie ist eine von nur zwei aktiven Gouveneurinnen in Japan.

Die Kandidaten

Bei 56 Kandidaten dürft ihr davon ausgehen, dass einige bunte Vögel dabei sind. Wir hätten da z.B. den 96-jährigen Erfinder Dr. NakaMats (ドクター・中松) und den Reiki-Lehrer Gotō Teruki (後藤輝樹), der die Welt mit Liebe beschützen will.

Einige Leute haben gemerkt, dass das Marketing, dass man als Kandidat für den Gouveneursposten bekommt, unschlagbar günstig ist: Man darf sein Plakat an jeder der über 14.000 Wahlplakatswände der Stadt anbringen und bekommt einen fünfeinhalbminütigen Sendeplatz beim öffentlich-rechtlichen Sender NHK. Dieser ist eigentlich dafür gedacht, dass man sein Wahlprogramm erläutert, aber letztendlich kann man in dieser Zeit alles senden lassen.

Und was kostet der Spaß? 3.000.000 ¥ (ca. 17.500 €). Das ist einfach unfassbar günstige Werbung. Die Kandidaten haben also offenbar gar nicht vor, wirklich gewählt zu werden. Sie wollen scheinbar nur die Aufmerksamkeit, die die Wahl mit sich bringt.

Bei mindestens einer Kandidatin ist es offensichtlich: Uchino Airi (内野愛理) hat ihre Partei “Guckt den Wahlwerbespot von mir Süßer” (カワイイ私の政見放送を見てね; Kawaii watashi no Seikenhōsō wo mite ne) genannt.

Nicht genug Platz für Wahlplakate

Anders als in Deutschland dürfen Wahlplakate nur an Privathäusern und auf großen Wahlplakatswänden, die extra dafür aufgestellt werden, angebracht werden. Diese Wahlplakatswände sind durchnummeriert, jeder darf also nur seinen zugewiesenen Platz bekleben.

Das Problem: Die Wände sind nur für 48 Plakate gedacht. 56 Kandidaten. Wer in Mathe aufgepasst hat, merkt: Da fehlen acht Klebeplätze. Was hat man sich also überlegt? Es werden Plastikhüllen ausgegeben, die die Kandidaten dann mit Tackern oder Klebeband an den Plakatwänden befestigen sollen.

Das wirkt sicher überhaupt nicht unprofessionell oder so.

Verkauf von Wahlplakatsplätzen

Die “Die Bevölkerung vor der NHK beschützen”-Partei (NHKから国民を守る党; NHK kara kokumin wo mamoru tō) hat 24 Kandidaten ins Rennen geschickt. Ihre Plakatplätze konzentrieren sich auf beide Enden der Wahlplakatswände und zeigen alle dasselbe Plakat. Aber nicht etwa eines, dass die Vorteile ihrer Partei herausstellt.

Wer der Partei genug gespendet hat, kann sein eigenes Plakat an einem Standort 24 Mal aufhängen lassen. Auf Twitter gibt es Bilder von Plakatwänden, auf denen ein Shiba Inu 24 Mal abgebildet ist. Auf anderen stehen politische Botschaften. Für die 24 Plätze spendet man 30.000 ¥ (ca. 175 €) an die Partei.

Die Partei verteidigt die Praktik übrigens damit, dass sie nur zeigen will, wie sinnlos die Plakatwände sind.

Pornographische Wahlplakate

Und dann wäre da noch Kawai Yūsuke (河合悠祐), der bereits im Stadtrat einer Stadt in der benachbarten Präfektur Saitama saß. Seine Wahlplakate lösten Diskussionen aus, weil sie als pornographisch eingestuft werden können. Sein großes Thema ist es, die Zensur von Pornographie abzuschaffen, auf den Plakaten war eine nackte, nur minimalst zensierte, Frau abgebildet. Das Model, das anfangs noch beim Aufhängen der Plakate geholfen hatte, hat sich inzwischen von ihnen distanziert.

Mehr: Von Verpixelung und schwarzen Balken: Zensur in Japan.

Nachdem ich online schon von einigen Leuten gelesen habe, die sein Vorhaben unterstützen wollen: Er will Ausländern kein Wahlrecht und keinen Zugang zur Sozialhilfe geben (damit wird der Status Quo beibehalten) und spricht sich auch gegen eine Kaiserin aus. Er ist also absolut nicht unterstützenswert.

Sein vom Joker inspiriertes Make Up allein sollte ihn aber eigentlich schon disqualifizieren. Seine anderen Wahlversprechen, etwa die Einführung der Polygamie, sind auch eher realitätsfern.


Es herrscht also Chaos. Ich bin sehr gespannt, wie das enden wird, habe aber selbst null Einfluss darauf. Erstens lebe ich gar nicht in Tokyo, sondern am ersten Bahnhof hinter der Präfekturgrenze, und zweitens habe ich sowieso kein Wahlrecht. Obwohl der ganze Zirkus auch von meinen Steuergeldern finanziert wird.

3 Gedanken zu „Tokyos teuerster Zirkus: Die Wahl um den Gouveneursposten.

  1. Sari sagt:

    Also das kontrollierte Aufhängen der Plakate finde ich ja gut. Gerade jetzt zuletzt bei den Wahlen hingen die Dinger hier wieder überall in Berlin rum. Aber was da an Kandidaten bei euch aufkreuzt ist ja verrückt. Den “Joker” habe ich direkt mal gegoogelt. Verrückt.

  2. Rumpelstilzchen sagt:

    In den 60ger70ger Jahren waren die Gouverneurswahlen deutlich seriöser. Meisten waren die Wahlkämpfe zwischen der konservativen Partei also LDP und der Reformpartei 革新党, d.h. die Koalition der Sozialistischen Partei Japan und der kommunistischen Partei Japan. Der letzte Gouverneur der SPJ/KPJ war Ryokichi Minobe, aus meiner Sicht, der beste Gouverneur Tokyos nach dem Krieg, für mich ist er so wie Willy Brandt in Tokyo. Der Wahlkampfhöhepunkt war der letzte Sonnabend vor Wahltag. Da stießen der LDP Kandidat und der SPJ Kandidat in Shinjuku West-Ausgang aufeinander. Beeindruckend war, ich glaube, das war 1980 oder 1979, der konservative Kandidat Suzuki (LDP) gegen den ehemaligen Gewerkschaftsvorsitzender Ohta (SPJ), während der Debatte in Shinjuku kamen noch die Rechtsradikalen 右翼 dazwischen und die Brille von Ohta ging dabei kaputt, weil ein Stein von 右翼 sie traf. Es hat auch richtig geblutet, aber Ohta hat trotz Verletzung weitergekämft. Zünglein an der Waage war damals die 公明党(Komeito/Sokagakkai Partei). 公明党hat zwar davor stets Minobe unterstützt, aber den ehemaligen Gewerkschaftschef Ohta wollte 公明党nicht unterstützen. Deswegen hat Ohta auch gegen Suzuki verloren. Nun gibt es leider 社会党 nicht mehr. Ich glaube, damals war politisch nicht nur in Japan sehr spannend, auch in Deutschland mit Sozial-liberalen Koalition und die Grünen mit Petra Kelly. Auch USA mit Jimmy Carter etc..
    クラウディアさん, vielen Dank für Deinen tollen Bericht, jetzt weiß ich, was politisch in Tokyo los ist.

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