Unter der Woche bin ich sehr viel zuhause. Das bedeutet natürlich auch, dass ich mich viel im Internet herumtreibe und seit letztem Jahr bin ich aus diversen Gründen (hauptsächlich Boys Love und andere Nerd-Geschichten…) vermehrt im japanischen Internet unterwegs.
Genau wie das deutschsprachige Internet seinen eigenen Slang hat, hat das japanische Internet Worte, die sich einem erst einmal nicht erschließen. Ich finde solche Spielereien mit Sprache unglaublich spannend und wollte euch an meinem Nerd-Wissen teilhaben lassen. Man weiß ja nie, wann man plötzlich über eine Makrele stolpert.
Das berühmte Gras: 草
Am häufigsten wird man online auf 草 (kusa) oder “Gras” stoßen.
それは草
Irgendjemand auf Twitter, wahrscheinlich
Das ist Gras
“Gras” bedeutet dasselbe wie “lolololol”, also “lachen”. Die Entstehungsgeschichte finde ich aber so schön, dass ich sie euch nicht vorenthalten will:
“Lachen” auf Japanisch ist warau (笑う). An das Ende von Sätzen setzt man deswegen im Japanischen statt “lol” “(笑)” (wara). Weil das den Menschen online aber zu lang und umständlich war, kürzten sie es kurzerhand mit “w” ab. Je mehr “w”s man ans Satzende setzt, umso mehr lacht man. wwwwwwwww sieht aus wie gezeichnetes Gras – und daher kommt 草 (kusa).
Englisch mit Kanji: 鯖, 垢
Viele Wörter, die im Zusammenhang mit dem Internet stehen, wurden im Deutschen direkt aus dem Englischen übernommen. In Japan war es genau so. Wörter mit fremdländischem Ursprung werden für gewöhnlich in der Silbenschrift Katakana transkribiert.
Aus “Website” wird dann Webusaito (ウェブサイト), aus “Account” Akaunto (アカウント).
Für einige Worte gibt es aber Kanji-Abkürzungen. Das Kanji 垢 (aka) bedeutet eigentlich “Schmutz”, wird aber eben auch aka gelesen und ist deswegen die online gängige Abkürzung für “Account”. (Der ein oder andere Japanischlerner mag sich fragen, warum nicht 赤 (aka), das Kanji für “rot”. Wahrscheinlich, weil das nicht eindeutig genug wäre.)
Eine andere solche Abkürzung ist 鯖 (Saba). Eigentlich bedeutet das “Makrele”, im Internet ist es aber eine Abkürzung für サーバー (sābā), “Server”.
Richtig verwirrend fand ich anfangs übrigens 支部 (shibu), oder “Ortsgruppe”. Das ist eine Abkürzung für die japanische Seite Pixiv (auf Japanisch pikushibu), auf der man Manga lesen oder Zeichnungen ansehen kann.
Absichtlich falsch: 凸, 乙, 氏ぬ
Ich weiß gar nicht, ob man online heute noch Worte absichtlich falsch schreibt. Als ich als Jugendliche im Internet unterwegs war, gab es das noch.
Im japanischen Internet gibt es das noch immer. Am häufigsten sieht man 凸 (totsu). Als eines der wenigen Kanji, die genau das bedeuten, wie sie aussehen, bedeutet 凸 “hervorstehen”. Aber was ist dann ein リア凸 (Riatotsu) und worauf warten Streamer beim 凸待ち (totsumachi, “totsu-warten”)?
Totsu kommt ursprünglich von 突撃する (Totsugeki suru, “stürmen”). Das wurde zu 突る (totsuru) verkürzt und dann absichtlich mit den falschen Kanji geschrieben: 凸る (totsuru). Am Anfang benutzte man das Wort als Kurzform für “sich beim Verbrauchertelefon einer Firma beschweren”. Irgendwann wandelte sich der Begriff dann. Heute sieht man den Begriff meist, wenn Zuschauer eines Streamers oder YouTubers aufgefordert werden, bspw. Fotos einzusenden oder anzurufen.
Ein リア凸 (Riatotsu) ist ein reales Treffen mit jemandem, den man über das Internet kennengelernt hat.
Eine weitere Abkürzung mit falschen Kanji ist 乙 (otsu). Eigentlich findet man 乙 hauptsächlich in Verträgen, dort bezeichnet es den zweiten Vertragspartner. Im Internet ist es eine Abkürzung für お疲れ様 (otsukaresama), was in etwa “Gute Arbeit” oder “Guten Feierabend” bedeutet. Wenn man nur “otsu” tippt ist 乙 das erste Kanji, dass einem vorgeschlagen wird.
Es gibt noch einen anderen Grund, Worte falsch zu schreiben: Mit absichtlichen Fehlern kann man Filter einfach umgehen. Deswegen wird 死ぬ (shinu, “sterben”) oft 氏ぬ (shinu, das Wort hat keine Bedeutung) geschrieben.
Die große Kunst des Verschleierns: こ◯す, タヒ und Worte aus Emoji
Es gibt noch andere kreative Wege, Filter zu umgehen oder die eigene Nachricht weniger einfach auffindbar zu machen.
Das Equivalent zu Sternchen im Deutschen sind in Japan Kreise. Ein ○ ersetzt ein Symbol. Wer aus Gründen nicht スタバ (Sutaba, die Abkürzung für “Starbuck’s”) schreiben will, kann einfach スタ◯ schreiben und jedem ist klar, was gemeint ist.
Man kann auch Kanji auseinandernehmen. Wenn man 死 (shi, “Tod”) nicht schreiben darf, teilt man das Kanji in タヒ (tahi) auf. Wer lesen kann erkennt sofort, was gemeint ist, aber die gewöhnlichen Worterkennungssysteme können damit nichts anfangen.
Besonders häufig sehe ich Verschleierungsversuche bei Twitter-Posts über Dōjinshi. Man möchte zwar über die Lieblingscharaktere reden, aber Fans, die nur harmlose Infos suchen, nicht verschrecken. Also werden Namen entweder komplett in Silbenschrift geschrieben (いたどり statt 虎杖, das ist für Suchmaschinen schwieriger), die Kanji auseinandergenommen (虎木丈 statt 虎杖), Sonderzeichen zwischen die Kanji gesetzt (虎!杖) oder man sagt gleich Adieu zu so altmodischen Dingen wie Schrift.
Mehr: Dōjinshi: Manga von Fans für Fans.
So gut wie jeder Charakter in einem Anime oder Manga hat ein Emoji. Das entstammt meist einem Kanji im Namen oder hat anderweitig etwas mit dem Charakter zu tun. In Jujutsu Kaisen sieht das z.B. so aus:
Ist man neu in einem Fandom kann das anfangs ein wenig kompliziert sein, aber man gewöhnt sich dran – und wenn es wie bei Twitter eine Zeichenbegrenzung gibt, ist da auch gleich Abhilfe geschaffen. 😀
Sag’s mit Zahlen: 88888
Laute durch Zahlen zu ersetzen ist keine japanische Erfindung, auch wenn die Japaner da viel kreativen Spielraum haben. Obwohl man im normalen Leben eigentlich ständig über Zahlenspielereien oder Goroawase (語呂合わせ) stolpert, ist das Internet relativ frei davon.
Das einzige, was mir einfällt, ist 88888. Wenn man die Zahl 8 “pachi” lesen lässt und aneinanderreiht, erhält man das Geräusch von Klatschen: Pachipachi.
Andere Goroawase-Wörter, die man früher öfter mal gesehen hat, sind großteils verschwunden. Kein 4649 (Yoroshiku) oder 39 (Sankyū, “Thank you”) mehr. Ach doch, eins sieht man manchmal: 4ぬ (shinu). Es geht mal wieder ums Sterben.
Auf dieser positiven Note beende ich diesen Artikel, ich hoffe, ihr konntet etwas lernen. 😀 Ich persönlich finde es super spannend, wie Menschen mit Sprache spielen. Im Japanischen gibt es immer noch den zusätzlichen Vektor der Kanji, was für zusätzliche Komplexität sorgt. Wenn man einen Namen für sein Kind sucht, kann das echt anstrengend sein, aber zusätzlichen Spaß bringen die Schriftzeichen auch.
Mehr: Schwanger in Japan: Die Suche nach dem perfekten Namen.