In die Taishō-Ära zurückreisen im Hotel Tokyo Gajoen.

Die Taishō-Ära (大正時代 Taishōjidai). Stark vereinfacht ausgedrückt waren es die wilden 20er Japans. In den 14 Jahren zwischen 1912 und 1926 gewann Japan Kriege, wurde demokratisch und der Einfluss des Westens nahm weiter zu.

Die Ära ist in der allgemeinen Wahrnehmung sehr populär. Kein Wunder, lag sie doch zwischen der eher chaotischen Meiji-Ära (1868 bis 1912) und dem Beginn der Shōwa-Ära (1926 bis 1989), die einen verherenden Krieg und Armut brachte. Vor allem aber sieht die Taishō-Ära einfach unglaublich gut aus.

Mehr zu den Ären: Wir befinden uns im Jahre 2015 n. Chr.

Die Taishō-Romantik (大正浪漫 Taishō Roman) ist eine Ästhetik, die noch immer wertgeschätzt wird. Taishō Roman sind bunte Kimono mit großen Mustern, getragen mit Stiefeln und Lederhandschuhen, Buntglasfenster mit japanischen Motiven, Zeichnungen von schönen Frauen, die einfach in den Tag hineinträumen, Kroketten und Melonsoda mit Vanilleeis. Romantik und das gute Leben eben.

Genau diese Ästhetik kann man noch bis zum 12. Juni im Hyakudan Kaidan (百段階段), dem historischen Teil des Hotel Gajoen Tokyo, aufsaugen. Die namensgebende 100-stufige Treppe (die in Wirklichkeit nur über 99 Stufen verfügt) und die von ihr abgehenden sieben Speisesäle bestehen seit den 30er Jahren und werden oft für Ausstellungen genutzt.

Mehr: Ausstellung mit 100 Stufen in Meguro.

Ich nutzte die Gunst der Stunde und die tolle Kulisse, um endlich meinen Kimono aus der Taishō-Ära zu tragen. Davon sind noch einige im Umlauf, aber meist ist die Größe ein ziemliches Problem oder sie sind nicht mehr wirklich tragbar. Die Leute damals waren eben oft etwas kleiner und seit damals ist viel Zeit vergangen. Aber bei diesem Kimono hatte ich wirklich Glück und auch im ersten Raum der Ausstellung waren unter anderem Kimono zu sehen.

Zwar trugen die meisten Frauen während dieser Zeit noch täglich Kimono, aber auch westliche Mode kam langsam nach Japan und einige Frauen (Moga oder Modern Girls genannt) ließen sich Kleidung nach westlichem Vorbild anfertigen. Immer mehr Frauen begannen auch außer Haus zu arbeiten und trugen dafür westliche Kleidung.

In weiteren Räumen wurden unter anderem Bilder des berühmten Künstlers Takehisa Yumeji (武久夢二) ausgestellt. Er ist der Illustrator, der den meisten Leuten einfällt, wenn sie an Kunst aus der Zeit denken. In seinen Werken werden meist junge träumerisch dreinblickende Frauen gezeigt.

Er hat aber auch die Titelblätter für die Notenhefte vieler berühmter sowohl japanischer als auch ausländischer Werke gezeichnet und anderweitige Design-Arbeiten angenommen.

Eine moderne Künstlerin, die oft die Taishō-Romantik bemüht, ist die Illustratorin Matsuo Hiromi (マツオヒロミ). Für ihre Illustrationssammlung “Hyakkaten Walz” (百貨店ワルツ) hat sie für ein fiktives Kaufhaus der Taishō-Ära für jede Etage verschiedene Illustrationen und kurze Manga gezeichnet. Einige dieser Werke sind in der Ausstellung zu sehen und ich habe es mir nicht nehmen lassen, ihr Buch im Museumsshop zu kaufen. 🙂

Auch verschiedene Handwerkskunst aus der Zeit oder Nachbildungen von ihr konnte man bestaunen. Es ist unglaublich, wie filligran viele der Gegenstände sind. Insgesamt fand ich es ein wenig schade, dass viele moderne kommerzielle Nachbildungen zu sehen waren. Mehr Antiquitäten hätte ich schöner gefunden.

Natürlich kam nicht nur westliche Kleidung, sondern auch westliches Essen nach Japan. Unter anderem: Baumkuchen. Für Deutsche ist die japanische Liebe zu Baumkuchen oft ein Rätsel, aber es gibt ihn in Japan bereits seit über 100 Jahren. In der Ausstellung war ein Speisesaal als Café hergerichtet worden, in dem man Baumkuchen essen konnte. Die beiden Damen im Foto sind übrigens Besucherinnen, sie waren um Längen besser als ich angezogen.

Am Ende der Treppe angekommen wurde im letzten Speisesaal über die Geschichte des Hotels Gajoen informiert und es gab ein paar Fotoecken. Wenn man schon einmal da ist. 😉 Das alte Gebäude ist aber auch fotogen!

Ganz besonders spannend fand ich übrigens einen alten Prospekt für die Restaurants des Hotels und die Hochzeiten, die man in ihm abhalten konnte. In so einem schönen Hotel würde ich auch noch einmal heiraten – nur leisten könnte ich es mir nicht.


Bei Ausstellungen im Hyakudan Kaidan ist das Gebäude selbst immer so sehr Teil der Ausstellung, wie die ausgestellten Werke. Auch diesmal war die Kombination perfekt und auch, wenn ich mir ein wenig mehr Tiefe und ein wenig weniger moderne Ausstellungsstücke gewünscht hätte, hatte ich viel Spaß dabei, ein wenig in die Taishō-Ära einzutauchen. Natürlich ist viel verklärte Romantik dabei, aber — sie sieht einfach so verdammt gut aus!

4 Gedanken zu „In die Taishō-Ära zurückreisen im Hotel Tokyo Gajoen.

  1. Roswitha sagt:

    Dankeschön für den interessanten Bericht, Sie haben mir ein Stück Japan näher gebracht.
    Auch finde ich es schön, Sie auf dem Foto sehen zu können, hat man doch mal einen direkten Einblick in die Tradition des Kimono bekommen. Gerne lese ich hier mit, liebe Grüße aus dem Schwarzwald, Roswitha

  2. Rumpelstilzchen sagt:

    Vielen Dank, sehr schöner Bericht und ein aufregender Zeitabschnitt japanischer Geschichte sowohl politisch, gesellschaftlich als auch kulturell, architektonisch. Ich mußte Ihren Bericht meiner Tochter gleich weiterleiten. Und Ihre 着物姿sehr 似合ってます. Damals waren auch recht viele europäische und US-amerikanische Frauen mit Japaner verheiratet. Sie trugen wohl auch Kimono im Alltag .

  3. Nana Tateishi sagt:

    Oh wie gut dir der Bob Haarschnitt steht!
    Das fiel mir sofort auf, wie hübsch und gereift deine Ausstrahlung ist.
    Und wunderschön ist immer wieder die Kunst wie Bilder eingefangen werden. Vielen Dank für die Mühe und das Teilen. Da steckt soviel Gedanke und Mühe darin, und das merkt man!

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