Bin ich noch gut angepasster Ausländer oder schon Rassist?

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Meine Schwester und ich bei meiner Hochzeit.

Am Samstag fiel mir ein Kommentar unter dem Foto einer deutschen Bekannten auf Instagram auf.

“This is some culture appropriation shit.”

Was hatte meine Bekannte getan? Einen Kimono getragen. Einen sehr modernen, sehr coolen Kimono. Aber erst einmal ein bisschen Hintergrund.

Was ist Cultural Appropriation?

Der Begriff kommt aus Amerika, weswegen er am einfachsten an amerikanischen Beispielen zu erklären ist. Wenn in Amerika, mit der dominanten amerikanischen Kultur, ein Mitglied dieser dominanten Kultur Teile einer historisch unterdrückten Minderheitskultur (black culture, native American culture, …) kopiert, ohne die kulturelle Bedeutsamkeit des Kopierten zu verstehen oder die für Mitglieder der Minderheitskultur eng verknüpfte Unterdrückung erleben zu müssen, ist das Cultural Appropriation.

Wenn z.B. ein weißer Amerikaner ein Warbonnet (die Federhaube der nordamerikanischen Indianer) aus Spaß oder um cool zu wirken trägt, eignet er sich ein Objekt mit großem Stellenwert in der unterdrückten Herkunftskultur an, versteht den Stellenwert höchstwahrscheinlich nicht, und lebt nicht in der Gewissheit dass seine Vorfahren von den weißen Siedlern verdrängt und abgeschlachtet wurden und die Echos der Geschichte in die Gegenwart reichen.

Was brauchen wir also, um etwas als “Cultural Appropriation” zu bezeichnen?

Jemanden, der sich ein Element einer unterdrückten Minderheitskultur aneignet, und der dieses Objekt in seiner Signifikanz nicht versteht und/oder es gegen den Willen der Ursprungskultur übernimmt.

So weit so gut. Meine Bekannte und ich, wir leben in Japan. Wir haben japanische Familie, japanische Freunde – und wir begehen japanische Rituale. Nicht, weil wir Japan so unglaublich toll und exotisch finden würden, oder wir unbedingt Japanisch sein wollen, sondern weil es die Kultur unseres neuen Heimatlands ist. In anderen Worten: Es ist die dominante Kultur und wir, als Mitglieder der Minderheitskultur, passen uns an. Das ist nicht “Cultural Appropriation” sondern Assimilation.

Wir begehen viele dieser Rituale, weil es von uns erwartet wird und weil wir ein Teil nicht nur unseres neuen Landes sondern vor allem unserer japanischen Familie sein wollen. Stellt euch vor, wir würden die japanische Kultur nicht annehmen: Wie arrogant und ignorant wäre das denn? Und apropos “Elemente einer Kultur in ihrer Signifikanz nicht verstehen”: Wir lernen von denen, die es wissen müssen – Japanern in Japan. Eben jene Japaner in Japan freuen sich übrigens riesig, wenn Nicht-Japaner ihre Kultur so sehr wertschätzen, dass sie sie selbst ausüben (Siehe: Als Ausländer Yukata tragen.) Wir haben also sogar die Erlaubnis der dominanten Kultur.

Wenn wir als Deutsche in Japan Kimono tragen, tragen wir ihn nicht als Kostüm, sondern korrekt und als Ausdruck unserer Verbundenheit zu unserer zweiten Kultur*. Und aus dem Grund, aus dem Japaner Kimono tragen: Sie sind einfach wunderschön. 🙂 Wir tragen kein eigenartiges ein bisschen japanisches, ein bisschen chinesisches, sehr sexualisiertes Kleidungsstück wie Katy Perry bei einer Performance 2013. Das war übrigens in Amerika ein Skandal – während der Großteil der Japaner sich nicht daran gestört hat.

* “… unserer ersten Fremdkultur” analog zur “ersten Fremdsprache”?

Japaner brauchen niemanden, der sich an ihrer Stelle aufregt. Ich brauch niemanden, der mich als “kulturlosen Mayo-weißen Rassisten” bezeichnet, weil ich an der Kultur meines neuen Heimatlandes teilhabe. Vor allem nicht, wenn ich von Japanern haufenweise Komplimente bekomme, wenn ich Yukata oder Kimono trage. Deren Meinung ist mir nämlich, im Gegensatz zu der einer Amerikanerin aus dem Internet, wichtig. 🙂

0 Gedanken zu „Bin ich noch gut angepasster Ausländer oder schon Rassist?

  1. nagarazoku sagt:

    Ganz toll finde ich, wenn Nicht-Japaner Japanern vorschreiben wollen, worüber sie sich aufzuregen haben. Ich verstehe ja, dass sich die asiatische Community in Amerika als Minderheit versteht, Japaner hingegen sind einfach mal keine Minderheit in ihrem eigenen Land. Kimonos haben auch lange nicht die kulturelle Bedeutung, die z.B. ein Warbonnet hat. Den muss man sich verdienen, kimono gibt es im Austausch für Geld, denn sie sind im wahrsten Sinne des Wortes einfach nur Kleidungsstücke.

    • Claudia sagt:

      Aber du verstehst nicht, denn du bist weiß und Weiße haben keine Kultur und klauen sich deswegen die Kultur anderer Länder zusammen. Wurde mir wirklich so entgegengeschleudert…

      • nagarazoku sagt:

        Aber wenn sich Japaner dann Weihnachten und Halloween und so was vorknöpfen, dann ist das sicher keine culture appropriation, sondern das haben wir ihnen aufgezwungen. Talking about making shit up as you go along …

        • Claudia sagt:

          Ist es tatsächlich nicht, weil Weiße nicht unterdrückt werden. Aber ja, wenn man ihre eigenen Maßstäbe konsequent anlegen würde — 洋式結婚式 anyone? Was Japaner da so missverstehen oder nur halb übernehmen (kein Junggesellenabschied und grell-pinke Kleider?!)…

  2. Holger Drechsler sagt:

    Immerhin war das ja offenbar eine Amerikanerin, die über solche Dinge (wie auch immer) nachdenkt. Wenn so etwas in den USA um sich greifen würde…

    • Claudia sagt:

      Ich denke bei der jüngeren Generation ist das durchaus eine Diskussion – und auch eine richtige, wie ich finde. Nur leider gehen manche Menschen dann doch etwas zu weit, weil sie nur schwarz und weiß sehen, ohne die Komplexitäten des Themas zu kennen. Zumal eben nicht jedes Land Amerika und nicht jedes traditionelle Kleidungsstück heilig ist.

  3. Peter-J. Alexander sagt:

    Liebe Claudia,

    das ist ein sehr gelungener Beitrag mit Tiefgang. Mit meinen mittlerweile 13 Jahren in Nippon lebend stimme ich grundsätzlich zu, wenngleich meine japanische Familie es auch sehr schätzt, dass ich mich anpasse, aber nicht assimiliere; nach wie vor empfinde ich als (Nord)Deutscher und bin stolz darauf. Und gerade als Norddeutscher ist die Akzeptanz in meiner Familie super. Sie schätzen meine Ehrlichkeit meinem Lande gegenüber, obwohl sie genau wissen, wie wohl ich mich in Japan, meiner zweiten Heimat, fühle. Auch meine Frau liebt mich als Mensch ( und natürlich vice versa) und auch sie – wir lebten immerhin 15 Jahre zusammen in Deutschland – wird immer ihren japanischen Pass behalten – mit einem ‘permanent residence Stempel’ für Deutschland…

    Alles Gute weitehin in diesem wunderschönen fernöstlichen Lande

    Peter-J. Alexander

    • Claudia sagt:

      Hallo Peter,
      Ich denke, mein Verhältnis zum deutschen Kulturgut wird sich noch einmal ändern, wenn wir Kinder haben, aber derzeit bin ich natürlich Deutsch (etwas anderes zu behaupten wäre dann doch sehr weit hergeholt) aber ich begehe keine deutschen Traditionen oder ähnliches – und ich würde auch nicht unbedingt wieder nach Deutschland zurückwollen.

  4. hanna sagt:

    Siehe auch hier: http://www.japantimes.co.jp/culture/2015/07/18/books/underneath-orientalist-kimono/#.Vb4elDiRUup o.O Da auch ich bisher nur sehr viele positive Erfahrung mit der Reaktion von Japanern gemacht habe, wenn ich oder andere nicht-japanische Freunde einen Kimono getragen haben, kann ich den ganzen Trubel/die Kritik ueberhaupt nicht verstehen. Im Gegenteil habe ich es immer so wie du empfunden, dass sich vor allem aeltere Japaner darueber freuen, wenn man Interesse an den traditionellen Elementen der japanischen Kultur (Kimono, Ikebana, etc.) zeigt, weil junge Japaner eher immer weniger Interesse daran haben ..

    • Claudia sagt:

      Das Problem ist denke ich, dass Asiaten in Amerika ein ganz anderes Verhältnis zu ihrer Kultur und wie der Westen damit umgeht haben als Asiaten in Asien. Wenn einem dann aber Amerikaner vorschreiben wollen, wie man sich in Asien zu verhalten hat — ehm, nein.

      • hanna sagt:

        Da hast du natuerlich recht. Die ganze Rassismus-Thematik ist in den USA wohl auch ein viel heikleres Thema. Allerdings bin ich wie du der Meinung, dass der Kimono einfach ein Stueck (historische) Mode ist. Ein spannendes Thema jedenfalls!

  5. Fellknubbel sagt:

    Ich habe heute zum ersten Mal Frauen mit einem Yukata gesehen. Und ja, sie sind wunderschön! Vor allem, wenn sie von so vielen getragen werden wie heute Nachmittag in Ginza 🙂

  6. eleven sagt:

    Ahhh das ist ein Thema, das mich zur Zeit auch sehr beschäftigt. Ich habe einen wunderschönen haori bei etsy (von einem japanischen Laden in Kyoto) gekauft, bin aber nicht sicher, ob ich ihn tragen “kann” – nicht, dass es in Deutschland eine große Debatte um cultural appropriation geben würde. Aber durch die US-amerikanische Debatte ist es ziemlich in meinem Kopf und ich bin mir deswegen unsicher 😉 Andererseits habe ich aber auch das Gefühl, dass es sich eben um ein “normales Kleidungsstück” handelt und ich nicht vollkommen “unwissend” damit umgehe, weil ich selbst 1 1/2 Jahre in Japan gelebt habe. Ich bleibe aber hin- und hergerissen 😉 Ich finde es auf jeden Fall wichtig, sich klar zu machen, dass man ggf. Teile einer anderen Kultur “verwendet” und dies mit Bedacht und Rücksicht geschehen sollte, vor allem hinsichtlich der historischen “weißen Dominanz” und Kolonialisierung.

    • Claudia sagt:

      Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich mir wahrscheinlich schon am Kopf kratzen würde, wenn mir in Deutschland ohne Anlass jemand im Haori über den Weg laufen würde. Wenn irgendein passendes Event stattfindet (Japanfest?), warum nicht? 🙂

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