Letztens beim Zahnarzt.

Alle drei Monate gehe ich zum Zahnarzt, und ich bin möglicherweise die einzige westliche ausländische Patientin dort. Mein Zahnarzt heißt Herr Itô und ist immer total nett, weil er weiß, wie schrecklich ich Zahnarztpraxen finde. Also plaudern wir immer ein bisschen.

Herr Itô: Claudia-san*, ich habe eine Frage! Waren Sie schon mal auf dem Oktoberfest?

Ich: Nein, das ist ganz im Süden von Deutschland, zu weit weg von Berlin.

Herr Itô: Ich will unbedingt mal hin.

Ich: Aber im Moment ist Europa total teuer, weil der Yen so schwach ist. Dabei würden wir gern wieder ins europäische Ausland verreisen.

Herr Itô: Naja, Sie sind ja sowieso ständig im Ausland .

Japan ist für mich nicht Ausland. Ich habe mich fast komplett an Japan gewöhnt, zumindest in all den Bereichen, die ich selbst kennengelernt habe. Japanische Schulen sind für mich immer noch etwas exotisch, weil ich, anders als Caro, nie an einem Schüleraustausch teilgenommen  habe und auch keine eigenen Kinder im System habe. Aber wer geht denn am Sonntag freiwillig in Schuluniform zur Schule um Sport zu machen?!

* Ich bin in Japan oft nicht Nachname-san, wie es üblich ist, sondern Claudia-san. Immerhin ist -san dran.

Viele “Erwachsenendinge” habe ich zum ersten Mal in Japan gemacht kenne den Unterschied einfach nicht. Wie, in Deutschland muss man nicht vier Monatsmieten abdrücken um überhaupt eine Wohnung zu bekommen?** In Berlin habe ich immer bei meinen Eltern gewohnt, wie man in Deutschland Wasser, Strom und Gas bezahlt? Keine Ahnung, wir bekommen Zettelchen in den Briefkasten und das wird vom Konto abgebucht. Wie ich an eine Krankenversicherung kommen würde weiß ich auch nicht.

** Okay, ich geb’s zu, das wusste ich.

Würden wir plötzlich entscheiden doch nach Deutschland zu ziehen, wonach es im Moment nicht ausschaut, wäre ich meinem Mann auf jeden Fall keine große Hilfe, weil ich auch gar keinen Plan habe.

Dafür bin ich aber Meister in japanischen Behördengängen, verstehe japanische Handyverträge, kann die Dokumente für den 年末調整 (Nenmatsu Chôsei; Steuerausgleich am Jahresende) ausfüllen und benehme mich auf Hochzeiten nicht daneben. Ich muss und kann den japanischen Alltag ohne meinen Mann bewältigen, worauf ich auch ein klitzekleines Bisschen stolz bin, zumal ich immer wieder Freunden helfen kann. 🙂

Natürlich sind viele meiner Werte und Vorstellungen trotzdem sehr Deutsch und manchmal diskutieren mein Mann und ich über Dinge, die für mich selbstverständlich sind. In manchen Bereichen hinkt Japan wirklich Jahre hinterher, wenn nicht gar Jahrzehnte.

Ich bin also ein wenig eine Chimäre; das Grundgerüst stammt aus Deutschland aber die Anbauten sind Japanisch.

Fast wie meine Zähne… 😉

0 Gedanken zu „Letztens beim Zahnarzt.

  1. zoomingjapan sagt:

    Ich häng auch öfter mal beim Zahnarzt rum. Nicht unbedingt ein Ort, wo ich gerne bin hier in Japan. Aber das ist ne andere Geschichte.

    Mir geht’s ähnlich wie dir. Zwar habe ich einige Jahre meines Erwachsenenlebens in Deutschland verbracht, allerdings war ich nur Studentin und habe das “richtige” Arbeitsleben in Deutschland nie kennengelernt.
    In Deutschland habe ich 7 Jahre alleine gelebt, in Japan sind es jetzt auch bald 7 Jahre. Ich würde daher sagen, dass ich die Hälfte meines Erwachsenenlebens jetzt bereits in Japan verbracht habe, daher kann ich das gut nachvollziehen. 😉

  2. Thuruk sagt:

    Hmmm ich kenns nur in Österreich, aber so kompliziert ist es eigentlich nicht… Man sitzt halt immer stundenlang am Amt, aber was man tun soll wird einem eh gesagt.^^

    • Claudia sagt:

      Natürlich ist es nicht kompliziert, wenn ich müsste, würde ich es auch irgendwie hinkriegen, aber mir ist das japanische System einfach sehr viel vertrauter. 🙂

  3. Hans Zillermann sagt:

    Von einem Besuch des Oktoberfestes würde ich als Ortsansässiger ja aus Prinzip abraten. Mit Tradition hat das nichts mehr zu tun, da gehts nur noch um die Sauferei.

  4. Oliver sagt:

    Ich bin meist auch nur オリバーさん・・・
    Und Ich kenne das Problem, wenn man gefragt wird wie das nun in Deutschland ist, aber man die meiste Zeit seines Selbststaendigen-lebens nunmal nicht in Deutschland verbracht hat und daher auch nur unzureichend Antworten kann…

  5. nihonnoko sagt:

    Ich werde eigentlich immer カロちゃん genannt. Selbst von der Krankenschwester im Krankenhaus wurde ich so genannt. Das kann an meinem Alter oder auch Aussehen liegen. (Oder an meiner Gastmutter die mich jedem konsequent als カロちゃん vorstellt.) Wer weiß… Mit meinem Nachnamen werde ich (bis auf in der Schulbibliothek) nie angesprochen. Und ein カロリーネさん gibt es nur im Kunstunterricht. 😉

    Ich verstehe ja noch nicht einmal die Leute die Samstags freiwillig in den Klub gehen. 😉 Und dann erst die langen Schulwege… Als wäre die Schule das ganze Leben.

    • Claudia sagt:

      Total! Wenn ich Frühschicht habe werde ich am Bahnhof fast von Grundschülern umgerannt, die es gar nicht erwarten können in die Schule zu gehen. Ich meine, an sich ist das voll positiv, aber… In welchem Paralleluniversum leben wir denn hier?
      Meine Schwiegermutter macht einen auf “娘です” und wenn sie dann jemand komisch anschaut erklärt sie, dass ich in Wirklichkeit natürlich die Frau ihres Sohnes bin.

    • Claudia sagt:

      Ich gehe lieber alle drei Monate als dass die mir wieder irgendwas anbohren müssen ;_;
      Bei mir geht das besser, wenn ich turnusmäßig hin muss, als wenn ich nur sehr selten da bin.

  6. Mascha sagt:

    Und in Deutschland kenne ich mich auch nicht aus. Habe dort nie eine eigene Bude gehabt und dann ging es ins Ausland….und dann war ich verheiratet. ..hmmm, also so richtig alleine habe ich nie gewohnt. Habe das übersprungen.

    • Claudia sagt:

      Richtig alleine habe ich auch nur für ein Jahr gewohnt und da musste ich nicht viel machen, weil das Visum ja eh auf ein Jahr beschränkt war. Mein Mann hat bevor wir geheiratet haben bei den Eltern gewohnt, wusste also auch nichts so genau. 🙂

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