Schreiben.

(Der Inhalt dieses Eintrags ist den meisten Lesern dieses Blogs sicher nicht neu, aber.)

Japanisch ist ziemlich leicht und gleichzeitig ziemlich schwierig zu lernen. Sprechen ist nicht zu schwer, lesen und schreiben dafür sehr.

Das fängt damit an, dass es zwei Silbenalphabete gibt. Das Silbenalphabet nennt sich 五十音 (Gojûon), 50 Töne. In Wirklichkeit sind 49 Silbenzeichen in täglichem Gebrauch. Nun haben wir aber zwei davon, eins hauptsächlich für japanische Worte (Hiragana) und eines hauptsächlich für Worte, die aus dem Ausland gekommen sind (Katakana). Das macht 98 Silben, die gelesen und geschrieben werden wollen. Hört sich erst mal viel an, ist aber mit viel Übung zu machen.

Auf der linken Seite sieht man die Silbe “Shi” einmal in Hiragana, schön, ein Haken; einmal in Katakana, oh, drei Striche, und dann in Kanji, das sieht aus wie – WAS? Kanji, meine Feinde! Es gibt leider pro Silbe nicht nur ein Kanji, sondern geschätzte 5 800. Also, so fühlt es sich an. Es gibt Worte, die an sich von der Lesung her gleich sind, und nur durch die Kanji voneinander zu unterscheiden sind. Beispiel: 防止 und 帽子, beides Bôshi gelesen, heißt einmal “Vorsorge” und einmal “Mütze”. Für so etwas sind Kanji nützlich.

Weil sie ihr ganzes diabolisches Potential aber noch nicht entfaltet haben, haben Kanji in sich auch verschiedene Lesungen. Nehmen wir einfach止, was oben im Wort für Vorsorge vorkam. Im Verb “(etwas) anhalten”, 止める (tomeru), wird es “to” gelesen. Im Verb “aufhören”, 止む (yamu), wird es “ya” gelesen. In Verbindung mit anderen Kanji, wie z.B. bei “Vorsorge” oder auch “Verbot”, 禁止 (kinshi), wird es “shi” gelesen. Dabei ist es noch keines der gemeinen Kanji, die wirklich viele Lesungen haben. Die Lesung in Verbindung mit anderen Kanji ist meist die sino-japanische On-Lesung, die in Verbindung mit Silben die urjapanische Kun-Lesung.

Warum ist es aber nun wichtig, die blöden Teile trotzdem zu lernen?

In japanischen Texten gibt es keine Leerzeichen. Derzeit lese ich ein Buch aus der Mumin-Reihe, das, um es für jüngere Leser lesbar zu machen, auf viele Kanji verzichtet. Ich erkenne aber nicht alle Worte auf Anhieb, weswegen es mir manchmal schwer fällt, die Worte auseinander zu halten. Man kann für gewöhnlich davon ausgehen, dass ein neues Wort beginnt, wenn nach einer Anordnung von Silben ein Kanji kommt. Es ist für die Leserlichkeit ein großer Unterschied, ob man 昨日の夜に私が豆腐を食べました。 oder きのうのよるにわたしがとうふをたべました。(Gestern Abend habe ich Tofu gegessen.) schreibt.

Wie oben erwähnt gibt es auch einfach viele Worte, die gleich klingen, und nur durch die Kanji auseinanderzuhalten sind. Außerdem erschließen sich einem Worte auch durch Kanji. Ein ganz einfaches Beispiel, 防水 (bôsui). Das erste Kanji (防; bô) kommt auch in 防ぐ (fusegu) zur Verwendung. 防ぐ heißt “abwehren”. Das zweite Kanji (水; in dem Fall sui), wird alleinstehend mizu gelesen und heißt einfach “Wasser”. Wenn ich das weiß, weiß ich auch, das 防水 (bôsui) “wasserabweisend” heißt. Wenn man einige Kanji kennt versteht man auch Worte, die man noch nie gelesen hat.

Aber warum sind die Silben überhaupt wichtig? Ich will ja nur sprechen können!

Eine Mitarbeiterin von mir lebt seit drei Jahren in Japan und hat sich bisher noch nicht die Mühe gemacht die Silben zu lernen. Wenn auf den Sachen der Kinder die Namen auf Japanisch geschrieben sind (in Silben), kann sie das nicht lesen. Wenn etwas nicht mit lateinischen Buchstaben geschrieben ist, kann sie es nicht lesen, auch wenn es wirklich wichtig ist. Außerdem erschließen sich ihr viele grammatikalische Dinge nicht, wodurch sich Fehler einschleichen und sie teils unverständlich machen. Nur nach Gehör eine Sprache zu lernen ist sicher toll, wenn man es denn wirklich kann, aber Menschen sprechen leider oft nicht deutlich, wodurch man Worte leicht falsch aufnimmt. So wird bei meiner Mitarbeiterin 強い (tsuyoi, stark) zu ちよい (chiyoi), und wenn keiner sie darauf hinweist, bleibt es das für die nächsten drei Jahre, weil sie es nirgends anders lesen kann.

Meine Mitarbeiterin kann dafür, dass sie kein Japanisch lesen kann, toll Japanisch sprechen, keine Frage. Allerdings ist es an sich keine Unmenge an Energie, die man ins Silbenlernen stecken muss und ein Ende ist absehbar – anders als bei Kanji. Ich tröste mich damit, dass auch nicht alle Japaner die fast 2000 Kanji die in Zeitschriften vorkommen lesen können…

Die Krux mit den Kanji.

Nachdem ich den JLPT N1 bestanden habe, dachte ich, dass ich mich an meine nächste Schwachstelle wage: Kanji.

In Japan gibt es den 漢字検定 (Kanji-Kentei kurz auch 漢検 Kanken; Kanji-Zertifikat) auf zehn verschiedenen Levels bei denen eins das höchste ist. Level zehn ist das, was Erstklässler am Ende des Schuljahres können, Level eins ist Universitätslevel (oder höher).

Kanji sind an sich nur Lernsache, und viele habe ich auch einfach im Kopf behalten, weil ich sie so oft sehe. Bücher lesen ist eigentlich kein großes Problem (aktuell “Lakeside” von Higashino Keigo), Schilder, E-Mails und ähnliche Späße sowieso nicht. Inzwischen glaube ich sogar, dass Kanji praktisch sind, denn Japanisch ist eine Sprache voller Homophone – die Kanji geben oft Aufschluss darüber, worum es eigentlich geht. Solange man Kanji nur lesen und an PC und Handy tippen müsste, wäre das alles gar kein Problem.

Der Test hat nun aber mehrere Teile:

① Neben die Kanji die Lesung schreiben. → Kein Problem, lesen kann ich ja.

② Zu einem Kanji jeweils zwei Lesungen angeben (im Kontext). → Meist auch kein Problem.

③ Aus drei Möglichkeiten das richtige Kanji für eine angegebene Lesung schreiben. → Alles klar.

④ Die Striche in Kanji zählen und bestimmen, der wievielte Strich ein bestimmter ist. → Ich bin als Linkshänder (darauf schiebe ich es einfach) eine große Null darin, Kanji in der richtigen Strichfolge zu schreiben, zählen geht so halbwegs.

⑤ Angeben welche Lesung (on- oder kun-Lesung) ein Kanji mit angegebener Lesung hat. → Auch kein Ding.

⑥* Den Gegensatz eines Wortes suchen und ein Kanji aufschreiben. → Was? Mit der Hand? Aus dem Gedächtnis?

* Es gibt insgesamt 11 Aufgaben, aber ich habe einfach die Aufzählung abgebrochen.

… Ich kann nicht aus dem Gedächtnis mit der Hand schreiben. Absolut gar nicht. Einige Kanji schon, aber die sind etwas erbärmlich, und reichen nicht einmal aus um einem Viertklässler (Kanken Level 7) Konkurrenz zu machen. Warum ich nicht schreiben kann, liegt auf der Hand: Wann muss ich es denn mal? Wenn es wirklich etwas gibt, tippe ich den Text vorher am PC und schreibe ihn ab. Kanji, die ich, wenn ich sie sehe, ohne Probleme lesen kann, kann ich mir einfach nicht bildlich vorstellen, wenn ich sie schreiben soll.

Damals, vor vielen Jahren, besuchte ich Volkshochschulkurse um Japanisch zu lernen, in denen dann nach Ewigkeiten, die man sich gelangweilt hatte, weil irgendjemand irgendetwas noch immer nicht begriffen hatte, gnädigerweise mal Kanji auf dem Plan standen – bis ich die Kurse aufgab wahrscheinlich so zehn. Da rächt sich das gemeine Selbststudium und die schöne neue Welt, in der man keine Briefe mehr schreibt!

Also muss ich das alles nachholen. Wenn die Lehrbücher (wie gesagt, für Viertklässler) keine putzigen Bildchen an allen Ecken und Enden hätten, käme ich mir dabei auch nicht so bescheuert vor…

“Sprechen Sie Japanisch?”

In letzter Zeit war ich öfter mal im Krankenhaus. Nichts Ernstes, ich möchte mich nur absichern. Am Anmeldeschalter.

Sie: Sind Sie zum ersten Mal hier? Sprechen Sie Japanisch?

Ich: Ja. Ja.

Ich bekomme einen Anmeldebogen.

Sie: Können Sie schreiben?

Ich: Ja.

Dann in der Orthopädie, wo ich wieder einen Zettel ausfüllen muss, diesmal mit Symptomen und Ähnlichem.

Sie: Können Sie das schreiben?

Ich: Ja.

Als ich endlich zum Arzt ins Behandlungszimmer komme:

Er: Packen Sie ihr Gepäck einfach in den Korb. Sprechen Sie Japanisch?

Ich: Ja.

Ich muss zum Röntgen. Diesmal fragt mich keiner, ob ich tatsächlich die Sprache des Landes, in dem ich lebe, spreche. Beim Nachgespräch mit dem Arzt läuft auch alles klar. Als Ausländerin bin ich einfach im Gedächtnis zu behalten. Dann wird noch mit einer anderen Schwester über den nächsten Termin geredet.

Sie: Sprechen Sie Japanisch?

Ich: Ja…

Ich weiß, dass es nicht viele Ausländer in Japan gibt, und noch weniger nicht-asiatische. Es gibt bestimmt auch viele, die gar kein Japanisch sprechen. Aber für mich ist es ein wenig frustrierend, wenn immer davon ausgegangen wird, dass ich nicht kommunizieren kann. Ich will Teil der japanischen Gesellschaft werden. Als Deutsche. Japanerin will ich nicht werden, das erfordert das Tragen von zu hohen Schuhen, aber ich will irgendwann als gleichwertiger Gesprächspartner, sofern es denn mein Vokabular zulässt, gesehen werden. Nicht als Möglichkeit Englisch zu reden.

Das versuchen dann nämlich auch viele, und bei vielen darf man in Japan davon ausgehen, dass mein Japanisch besser ist als deren Englisch. Die Schwieger-Großmutter glaubt mir auch noch nicht so ganz, dass ich Japanisch spreche. Was denken die ganzen Leute denn, wie ich hier durch die Weltgeschichte komme? Eine deutsche Parallelgesellschaft haben wir hier schließlich noch nicht.

Die Ärzte müssen aber (teilweise) im Studium noch immer Deutsch lernen. Beim Testen meiner Nervenreaktion war ein ganz witziger Arzt. So ein Test dauert ein wenig, da ist das praktisch. Woran er sich noch aus dem Deutschunterricht erinnert:

Er: Eins, zwei, drei. Prost. Das ist doch “Prost”, oder? Oh, und “Ich liebe dich.”

Ich: Dann haben Sie sich ja alles Wichtige gemerkt.

Er: Natürlich!

Vielleicht denken sie auch, dass alle Ausländer die gleichen Fremdsprachenkenntnisse haben wie sie selbst*…

* Es gibt natürlich Japaner, die unglaublich tolles Englisch sprechen. Oder auch Französisch. Oder sogar Deutsch! Aber im Durchschnitt würde ich sagen, dass hier weniger Leute eine Fremdsprache sprechen als in Deutschland.

Ich sollte mal ausprobieren, was passiert, wenn ich behaupte, ich würde die Sprache nicht sprechen. Panik wahrscheinlich.

Große Überraschung.

Erinnert sich noch jemand an den JLPT? Und daran, wie ich im Dezember, nachdem ich ihn geschrieben hatte, absolut überzeugt war, ihn total in den Sand gesetzt zu haben?

Heute kam das Testergebnis an, in Postkartengröße (das ist hier üblich). Also aus dem Briefkasten gefischt und auf dem Weg nach oben das Ergebnis angesehen. Woraufhin sich das ganze Treppenhaus über folgenden Auswuchs meines Intellekts freuen durfte.

Ich: HÄÄÄH?

Ich habe bestanden! Wie auch immer ich das angestellt habe, aber die Regeln scheinen doch anders zu sein als ich dachte. Auch mit mickrigen 58% im Language Knowledge-Teil (ja, 8 Prozentpunkte besser als der Zufall.) kann man bestehen, wenn das Gesamtergebnis bei 70% liegt. Ich habe 79%, was gar nicht mal schlecht ist.

Ein Glück, dass die Regeln mir gesinnt waren. Später beantrage ich noch die schöne große Urkunde, auf der keine Punktzahlen stehen, und lehne mich zurück in meinem gemütlichen Schaukelstuhl, den ich jetzt noch kaufen muss. Nie wieder lernen (ahahahaha).