Der Regen.

Was vielen Menschen in Deutschland vielleicht gar nicht so bewusst ist, ist, dass es in Japan eine Regenzeit gibt. Die nennt sich 梅雨 (Tsuyu; Pflaumenregen), und hat gerade angefangen.

Regional ist sie zeitlich natürlich unterschiedlich, bei uns regnet es aber den ganzen Juni durch. Die Luftfeuchtigkeit ist ständig hoch, und am Ende des Abends klebt meine Haut besser als Tesa. Nicht so schön. Heute kam ich zum zweiten Mal diese Woche zu einem Gewitter nach Hause. Während draußen am Arbeitsplatz die Sonne schien, war es am Heimatbahnhof apokalyptisch dunkel, und nach dem Einkaufen (im Bahnhof) wollte ich nach Hause gehen, als ich feststellen musste, dass es aus Eimern schüttete.

Zum Glück gibt es in Japan sobald es anfängt zu regnen Schirme zu kaufen. Das sind dann entweder die charakteristischen durchsichtigen Plastikschirme oder auch andere Billigmodelle, die ab 350 Yen (3,50€) verkauft werden. Praktisch, wenn man seinen Schirm vergessen hat, und wenn einer von denen kaputt geht ist es kein großer Verlust.

Regenschuhe kaufe ich mir dieses Jahr trotzdem.

Erdbebenvorbereitungen.

In letzter Zeit rumpelt es wieder mehr. Hauptsächlich im 三陸沖 (Sanriku-Meer, vor Aomori, Iwate und Miyagi) und in 千葉県東方沖 (Meer östlich von Chiba-ken). Letzte Woche gab es in letzterem sogar ein Beben mit Stärke M6.3. Während inzwischen gesagt wurde, dass das noch Nachbeben vom großen Erdbeben letztes Jahr wären, beunruhigt uns die Lage natürlich schon, denn wir leben in Chiba, wären von einem Beben in Tokyo also direkt betroffen.

Auf der Suche nach einem neuen Duschkopf stolperten wir auch über Notfallnahrung, und eigentlich wollte ich das zum Anlass nehmen um mal zu zeigen, was wir hier für den Notfall haben, aber ich habe die Tüte unglaublich heldenhaft auf der Gepäckablage in der Bahn vergessen und musste sie gestern erst einmal vom Chiba-Bahnhof abholen. Hier geht ja nichts verloren, und wenn die Bahnmitarbeiter die Bahn absuchen müssen – das machen die.

Wir haben einen großen Notfallrucksack. Die gibt es online schon fertig gepackt zu kaufen und haben so gut wie alles drin, was man brauchen könnte: Wärmepads, Regenmäntel, Wasser, Fertignahrung, Radio, Handschuhe, Pflaster, Desinfizierungsmittel, usw. Das habe ich nicht alles aus dem Rucksack genommen für das Foto, so schön wie es jetzt dort reingestapelt ist, würde das nie wieder passen. Unsere Pässe und Bankhefte sind auch dort drin, falls wir uns im Fall der Fälle doch absetzen müssten.

Frisch gekauft: Anko Mochi, und zwei Sorten Reis, die man auch ohne warmes Wasser zubereiten kann und ein handbetriebenes Radio mit Licht und Handyladegerät. Das Radio kommt in meine Arbeitstasche, zu der Notfallkarte von Tokyo (die natürlich nicht bis zu meinem Arbeitsplatz reicht) und dem Pfefferspray.

Außerdem durfte ich mir nach dem letzten großen Beben einen ewig langen Vortrag meines Mannes über Erdbebenverhalten anhören, weiß also, dass es im Untergrund gar nicht mal so gefährlich wie auf der Oberfläche ist, wo in der Nähe Zufluchtsorte sind (und welche schon so alt sind, dass man sie besser nicht betreten sollte) und dass eine geteilte Katastrophe nicht heißt, dass alle Menschen nett sind.

Wann das große Beben kommt, weiß keiner. Sich deswegen jeden Tag verrückt zu machen bringt absolut gar nichts. Aber vorbereitet sind wir, wie wahrscheinlich ein Großteil der tokyoter Haushalte, bei denen sich viele erst nach dem Beben in Tôhoku Gedanken darüber, was sie im Notfall tun würden, gemacht haben.

Es ist einfach ein Risiko, mit dem man hier leben muss. So ein Risiko hat man an jedem Ort, an dem man lebt, und wenn es nicht von der Natur ausgeht, dann von den Mitmenschen. Ich meine dich, Berlin.*

* Was ich mir ganz dringend abgewöhnen muss: Den Tagesspiegel lesen, ohne in Berlin zu sein. Das macht ein wenig Angst.

Das Beben.

Heute jährt sich das Tôhoku-Erdbeben zum ersten Mal. Im Rückblick ein paar Erinnerungen aus der Zeit, die ich zum Glück relativ sicher in der Nähe von Tokyo verbracht habe.

Mein Mann und ich wollten am Tag des Bebens Apfelkuchen backen und mussten dafür zum Supermarkt. Gerade, als wir uns auf den Weg machen wollten, fing es plötzlich an zu rütteln. Ich kann die Stärke von Erdbeben nicht gut einschätzen, mein Mann sagte nur immer wieder, ich solle unter den Schreibtisch kriechen. Der Familienhund wurde auch aus dem Wohnzimmer in sein Zimmer gebracht, und trampelte mir, total verängstigt, auf dem Gesicht herum. Das Beben dauerte fünf Minuten lang an, was mir wie eine Ewigkeit vorkam. Als die Erde sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, schnappten wir uns den Hund und gingen zu einem freien Feld – dort kann einem nichts auf dem Kopf fallen, falls es wieder ruckeln sollte.

Auf dem Weg dorthin kam uns alles wie ein schlechter Traum vor. Die Autos fuhren, die Menschen liefen, und niemand schien besonders beunruhigt. Auch auf dem Feld trafen wir nur einige junge Frauen, die mit ihren Kleinkindern aus ihren Wohnungen geflüchtet waren. Als wir uns wieder ins Haus trauten sahen wir fern. Bis dahin war mir gar nicht bewusst gewesen, wie stark das Erdbeben war. Die Bilder im Fernsehen zeigten es aber sehr eindrücklich.

Die Bahnen in Tokyo fuhren zum Abend hin nicht mehr, mein Schwiegervater musste von seinem Büro aus bis nach Hause laufen. Taxis waren auch nicht mehr zu bekommen, und in den nächsten Tagen fanden Fahrräder einen reißenden Absatz. Am Tag des Bebens gingen viele einfach Trinken, nach Hause kam man eh nicht mehr. Meine Schwiegermutter war mit meiner Schwiegeroma im Urlaub (innerhalb Japans) und blieb noch eine Nacht länger dort.

Zu der Zeit sah man im Fernsehen immer eine Karte mit tsunamigefährdeten Gegenden eingeblendet. Während die Tokyoter Bucht dort immer wieder vor sich hin blinkte, wurden wir glücklicherweise verschont. Nachrichten liefen den ganzen Tag, auf jedem Sender. Am folgenden Tag, dem 12. März, machten wir am Fluss Vermählungsfotos für die Familie. Die Kirschblüten blühten um die Wette und es war unglaublich windig. Am Morgen gab es in Funabashi einen ungeplanten Stromausfall, dem viele geplante folgen sollten. Die Erde bebte natürlich noch immer.

Interessanterweise bekommt man nach einer Zeit mit vielen Nachbeben das Gefühl, dass die Erde ständig beben würde. Meist ist das aber nur der eigene Puls, der einen zum Narren hält. Heute habe ich das auch noch, dass ich mich hinlege, und frage, ob es wieder rüttelt. Wenn es rüttelt, knarren hier aber die Wände, von daher kann man das ganz gut unterscheiden.

Meine Schwiegermutter kaufte Konserven, Fertignahrung und viel Wasser, wie alle anderen Leute auch. Die Läden waren leer, die Automaten hatten auch keine Wasserflaschen mehr. Zur selben Zeit wurde Tokyo und die umliegenden Präfekturen (Chiba, Saitama, Kanagawa) in Zonen aufgeteilt, in denen je für drei Stunden Stromausfall herrschen würde. Das setzte sich auch in den nächsten Wochen fort, manchmal fiel der Strom auch gar nicht aus, aber meist fuhren mein Mann und ich in der Zeit einfach in einen anderen Teil der Stadt.

Am 14. März haben wir geheiratet. Mein Schwiegervater fuhr uns zum Stadtamt und wieder zurück, wertvollen Treibstoff verbrennend. In der Zeit konnte kein neues Benzin geliefert werden, viele stellten die Lieferungen wegen der Strahlung auch ein, und so bekam jeder an der Tankstelle nur zehn Liter in den Tank. Im Fernsehen wurde veranschaulicht, was im Atomkraftwerk in Fukushima passiert war, wenn auch möglichst ruhig und sachlich, während in Deutschland alle Freunde und jegliche Verwandtschaft die Supernachrichten vom Super-GAU zu hören bekamen. (Wenn keine Einordnung, wie viele Sieverts denn nun eigentlich schlecht sind, und wie viel davon bis wohin gelangt ist, stattfindet, hat man plötzlich geschockte Großeltern.)

In der ganzen Zeit bewies sich übrigens Twitter, in Japan stark genutzt, als zuverlässige Informationsquelle. Als im Fernsehen noch ungenaue Informationen gesendet wurden, bekam man über Twitter schon genauste Tabellen. Ein Grund übrigens, warum ich meinen Twitter-Account noch nicht gelöscht habe, obwohl ich ihn nicht mehr verwende.

Meine Eltern boten immer wieder an, dass ich und meine japanische Familie nach Deutschland kommen könnten, aber für meine Schwiegereltern und meinen Mann kam das nicht in Frage, und ich wollte auch nicht allein nach Deutschland zurückkehren.

Die deutsche Botschaft in Japan hatte sich derweil im Konsulat in Osaka versteckt, so dass wir bis dorthin fahren mussten, um wichtige Dokumente zu unserer Heirat zu bekommen. Osaka mochte ich übrigens nicht, was natürlich an der Situation damals gelegen haben könnte. Auf dem Rückweg ging es zum Glück auch nach Nara, zum Rehegucken. Das war sehr entspannend, durch die ganze Aufregung nach dem Beben waren weniger Touristen als sonst in der Stadt. Rehe beißen, treten und schubsen übrigens.

Zu dem Zeitpunkt war das Beben vom Gefühl her schon weit weg. Tokyo und die westlicheren Gebiete Japans hatten kaum Schäden erlitten und mit einigen Einschränkungen ging das Leben weiter wie zuvor.

Nur auf meinem Rückflug merkte ich die Auswirkungen noch einmal: Wir mussten in Korea zwischenlanden um zu tanken, wodurch ich in London meinen Anschlussflug verpasste und eine Nacht in einem Hotel schlafen musste. Das Flugzeug war nur zu einem Drittel besetzt. Wenn keine Touristen nach Japan kommen, fliegen auch keine wieder nach Hause.

Zurück in Deutschland, zwei Wochen nach dem Erdbeben, wurde ich beim Strahlenschutzzentrum  in Berlin-Karlshorst überprüft. Einer der Wissenschaftler meinte, dass bisher niemand mit auffälligen Werten getestet wurde. Meine Strahlungswerte waren etwas erhöht, aber nicht höher, als wenn man in Berlin gesammelte Pilze isst. Wahrscheinlich habe ich durch Röntgenbildaufnahmen in meinem Leben schon mehr Strahlung abbekommen.

Meine zukünftigen Kinder werden also wahrscheinlich keine Tentakel statt Armen haben.

Seit der Katastrophe damals haben in Japan viele Menschen Hilfe bekommen, auch wenn das Beben immer mehr in Vergessenheit gerät. Aufgerissene Straßen sind geflickt, Müll aufgesammelt worden. Nord-Ost-Japan wird wieder in die Normalität zurück geführt. Viele Atomkraftwerke sind abgeschaltet worden. Es geht vorwärts.

(Dem Strom der Fukushima-Artikel werde ich mich dennoch entziehen.)

Frau Holle.

In Tokyo schneit es nicht oft. Selbst wenn es schneit, bleibt der Schnee nicht lange liegen. Vorgestern hat es aber einfach so lange geschneit, dass wir morgens schöne weiße Dächer bestaunen konnten. Das sah schon schön aus.

Nun muss ich zugeben, dass ich Schnee eigentlich nicht mag. Schnee ist kalt, wird matschig und generell haben wir in Deutschland für gewöhnlich zu viel davon. Hier ist es zur Abwechslung aber auch mal ganz schön, zumal der Schnee sofort wieder weggetaut ist. Mit einem großen Rumms ging es für die Schneemassen wieder herunter von den Dächern. Ab jetzt ist wieder Sonnenschein angesagt!

Aber an Kinderlieder habe ich mich erinnert. Das ist ja sowas, das ich irgendwie ganz tief im Kopf verstaut habe, selbst als ein Mitarbeiter fragte, ob es einfache deutsche Kinderlieder gäbe, die wir aus Spaß mit den Kindern auf Arbeit singen könnten, fiel mir kein einziges ein.

Ab Morgen geht’s übrigens wieder zur Arbeit, Mochi-Party steht an, und ich kann mich ja nicht ewig zuhause verkriechen!