Tod in Tokyo.

Der Großvater väterlicherseits meines Mannes ist letzte Woche gestorben. Am Dienstag besuchten wir ihn noch im Krankenhaus, am Mittwoch ist er dann verstorben.

Am Samstag Abend begingen wir also den ersten Teil der Zeremonie, お通夜 (Otsûya, Totenwache). Dabei wird der Tote verabschiedet und ein Mönch beschreibt den Weg um ins Jenseits zu gelangen, so wurde es mir zumindest erklärt – den Großteil dessen, was der Mönch sagt, ist unverständlich. Statt Blumenkränzen werden Sträuße aufgestellt, jeweils mit einem Schild versehen, von wem sie gegeben wurden.

Am nächsten Tag fand ab Mittags die 告別式 (Kokubetsushiki, Bestattung) statt. Wieder mit dem Mönch. Wahrscheinlich sagte der Mönch etwas anderes, aber für mich, ohne Hintergrundwissen, war das nicht ersichtlich. Dann wurde der (Verbrenn-)Sarg geöffnet und Blumen wurden auf den Körper gelegt, so dass nur noch das Gesicht zu sehen war. Während vorher niemand geweint hatte, ließen dabei alle den Tränen freien Lauf, was mich mehr mitnahm als der eigentliche Tod des Großvaters, den ich vorher nur zweimal gesehen hatte.

Der Sarg wurde verschlossen und verladen, bevor er zum Friedhof gefahren wurde. Dort wurde der Leichnahm eingeäschert, während wir in einen anderen Teil des Gebäudes gingen, um zu Mittag zu essen und alte Fotos herumzuzeigen, die irgendjemand noch irgendwo aufgetrieben hatte: Die, vor 20 Jahren verstorbene, Großmutter als junge Frau, Bilder von der Hochzeit, Bilder mit den Enkelkindern.

Nach ca. einer Stunde wurden wir aufgerufen, und kamen in einen weiteren Raum, in den daraufhin ein Tisch mit den Knochen des Großvaters geschoben wurde. Nachdem einige wichtige Knochen von Mitarbeitern beseite gelegt wurden, wurden wir aufgefordert, uns in zwei Reihen aufzustellen und jeweils zu zweit mit Stäbchen einen Knochen in eine Urne befördern. Die restlichen Reste wurden von den Mitarbeiterin eingefüllt, und zum Schluss wurde aus den vorher aussortierten Knochen der Kopf quasi nachgebaut: Halswirbel, Unterkiefer, Oberkiefer, Schädel. Dann kam natürlich ein Deckel auf die Urne.

Diese Urne wird nun für 49 Tage im Haus der Schwiegereltern stehen, bevor sie auf den Friedhof kommt und dann ist der Großvater nur noch im Schrein für die Toten im Haus der Familie – zusammen mit der Großmutter. Eigentlich keine schlechte Vorstellung.

Was sich liebt, das neckt sich.

Situation: Mein Mann zieht einen Kapuzenpullover an, den ich vorher gewaschen habe.

Er: Der ist ganz schön eng.

Ich: Irgendwie schon, ja.

Er: Bestimmt beim Waschen eingelaufen.

Ich: Wir waschen hier kalt, da läuft nichts ein.*

Er: Aber du hast irgendwas gemacht!

Ich: Du bist einfach dick geworden.

Er: Niemals! Das sind alles Muskeln! Schau!

Ich: Jaja, klar.

Er (weinerlich): Ich bin nicht dick!

Er ist wirklich nicht dick, aber es macht einfach zu viel Spaß ihn zu ärgern. Den Kapuzenpullover hat er schon seit Ewigkeiten, aus Zeiten als er noch 60 Kilo wog. Dass der jetzt, mit ein paar Gesundheitskilos mehr, enger ist, ist klar. Aber wie gesagt, ich habe Spaß daran, ihn auch mal zu ärgern, und er zahlt mir das auch hundertfach heim.

* Unsere Maschine wäscht nur kalt. Eigentlich waschen alle Maschinen hier nur kalt. Bis er unsere Waschmaschine in Deutschland gesehen hatte, glaubte er nicht, dass wir in Deutschland auch heiß waschen.

So sauer.

Normalerweise ruft mein Mann mich an, sobald er von der Arbeit zur Bahnstation läuft. Dann kann ich mit der unglaublichen Macht der Mathematik eineinhalb Stunden hinzuaddieren, und weiß, wann er vor der Tür stehen und sein Abendessen verlangen wird. Ich verlasse mich also darauf, dass ich ganz viel Zeit habe um alles Mögliche vorzubereiten.

Letztens stand er einfach vor der Tür. Um halb sieben. Eigentlich ein schöner Umstand, aber ich reagiere auf Planänderungen allergisch und war sehr überrumpelt.

Ich: Warum hast du nicht angerufen?

Er: Ich wollte ganz schnell nach Hause kommen und habe mich ganz doll beeilt auf dem Weg zur Station.

Ich: Du hättest mir ja in der Bahn eine E-Mail schicken können*!

Er: Ich konnte nicht.

Ich: Warum?

Er: Mein Handy hat mich keine Mail schicken lassen.

Ich: Eh?

Er: Es ist total sauer, und wollte keine Mails mehr schicken.

Ich: Wie jetzt?

Er: Versuch doch mal mit ihm zu reden!

Ich: Hey, Handy! Handy! Handy!

Handy schweigt.

Er: Siehst du!

Ich: Da kann man nichts machen. Warum ist es denn so sauer?

Er: Wahrscheinlich, weil ich den Stecker nicht rausziehe, wenn es fertig geladen wurde.

Ich: Aha. Na gut.

Und wir aßen Abendessen.

* In der Bahn wird nicht telefoniert. Das steht überall und wird auch angesagt, und eigentlich hält man sich dran. Außer man ist ein alter japanischer Mann, dann muss man sich offensichtlich an keine Regeln mehr halten und kann seiner Umwelt auf die Nerven gehen.

Warum Japan?

Eine finnische Bekannte, die nächstes Jahr wahrscheinlich heiraten und nach Japan ziehen wird, bekam letztens von einer Fremden im Internet folgendes an den Kopf geworfen:

Es ist interessant, dass es immer die Frau ist, die umzieht um mit dem Mann zu sein, nie anders herum. Und die Frau sagt immer, dass es das ist, was sie machen will, weil sie versteht, dass sie die Rolle der sich opfernden Frau einzunehmen hat.

Also abgesehen davon, dass es genug Männer gibt, die ins Land der Frau ziehen, unsere Gründe, warum wir in Japan leben:

  1. Der Göttergatte hat hier studiert und hier einen Beruf, während ich von Vertrag zu Vertrag arbeite. In Deutschland hätten wir ein viel geringeres Einkommen, auch wegen dem nächsten Grund. In meinem derzeitigen Beruf verdiene ich als Teilzeitkraft mehr als als Vollzeitkraft zum Schluss in Deutschland.
  2. Ich spreche Japanisch – der Göttergatte kaum Englisch. Sollte er in Deutschland leben müssen, obwohl er sich nicht verständigen könnte, während ich in der Richtung kaum Probleme habe? Das fände ich persönlich arg egoistisch.
  3. Deutschland finde ich eh nicht so superklasse, es ist für mich, bis auf die Entfernung zu Freunden und Verwandten, angenehmer in Japan zu leben. Der Mann sieht das anders, aber er hat sich auch noch nie mit deutschen Behörden herumschlagen müssen.

Ich sehe das nicht als großes Opfer, sondern schlimmstenfalls als nötiges Übel, wenn nicht sogar als positiven Nebeneffekt. Das Land kannte ich vor meinem Mann, vielleicht gab es deswegen auch nicht den Schock, den einige Leute zu haben scheinen, die das Land kaum kannten und noch nie hier waren, bevor sie ehebedingt hergezogen sind. Wenn man das Land nicht mag, und hier nur lebt, weil der Mann das so möchte, kann ich mir vorstellen, dass es sich auf die Ehe auswirkt – tut’s bei uns aber nicht.

Ob wir irgendwann in ein anderes Land ziehen ist noch nicht klar, aber erstmal geht es mir hier gut. Ich werde nicht gegen meinen Willen festgehalten (Bitte rettet mich!).