Mit den ersten für japanische Verhältnisse wirklich kalten Tagen kam natürlich auch mein Erzfeind wieder aus seinem Versteck: Die Erkältung. Anfangs nur mit Halsschmerzen, dann mit Schnüffelnase, schließlich waren die Ohren auch nicht mehr zu gebrauchen. Eine Erkältung ist nun aber nichts, wofür man zum Arzt müsste. Übers Wochenende zuhause bleiben, rezeptfreie Medizin nehmen, viel trinken, und alles sollte wieder gut sein.

Der Mann sieht das natürlich anders. Man kann ja nie wissen, ob ich nicht doch lebensgefährlich erkrankt bin.

Er: Geh zum Arzt!

Ich: Für eine Erkältung? Das ist doch totale Zeitverschwendung.

Er: Als hättest du sonst etwas zu tun.

Ich: Ich müsste mich umziehen.

Er: Geh zum Arzt, oder ich nehme nächste Woche jemanden anders mit nach Kanazawa!

Das wäre quasi nicht auszuhalten, al so begab ich mich zum Arzt. Am Samstag Morgen. Zum Glück war es nicht halb so voll wie erwartet und nach zwanzig Minuten war ich mit neuer Medizin in den Armen schon wieder draußen. 1200Yen habe ich für die Medizin bezahlt, auf dem Rückweg wurden noch Donuts gekauft und das Wochenende fand im Schlafanzug statt.

Eine Kollegin wünschte mir auf Facebook alles Gute und überlegte, ob ich nicht vielleicht die Kinder angesteckt haben könnte – ich hoffe doch!

Böse Claudia!

Wenn die Kinder nicht wollen wie sie sollen haben wir verschiedene Dinge, die wir ihnen androhen. Das fängt harmlos an mit “Wenn du dich nicht benehmen kannst musst du dich auf den Stuhl setzen.”

“Der Stuhl”, das ist ein kleiner gelber Winnie Pooh-Stuhl, der einzige seiner Art bei uns. Er steht am Rande des Spielbereichs, und wer sich darauf setzen muss darf kurzzeitig nicht mitspielen. Schrecklich! Leider ist “der Stuhl” manchmal nicht ausreichend, und wenn die Kinder sich auf Stühlen sitzend schon nicht ordentlich verhalten können, haben wir noch eine höhere Stufe: Den Babystuhl. Nichts ist für Dreijährige schlimmer als mit einem Baby verglichen zu werden.

Aus einer anderen Kategorie: “Wenn du dich jetzt nicht hinlegst und die Augen zumachst gibt’s keinen Snack.” Das scheint noch schlimmer zu sein, als wie ein Baby behandelt zu werden. Zumindest hinterlässt offenbar es Eindruck.

Bei uns bekommt jeder das gleiche Mittagessen. Manchmal sind da natürlich Sachen dabei, die manche Kinder nicht mögen. Einige beißen sich trotzdem durch*, andere überlegen sich, wie sie da rauskommen. Ein Junge aus meiner letzten Klasse (jetzt also bei einer anderen Lehrerin), tut seit einigen Tagen so, als wäre er schrecklich krank, sobald das Essen auf den Tisch kommt. Stehen wir gar nicht drauf, also wurde ihm gesagt, dass er, wenn er nicht ordentlich essen will, gern in meiner Klasse mit den kleinen Kindern essen kann. Kleine Tränchen bildeten sich in den Augenwinkeln des Jungen als ich dann ins Klassenzimmer kam um ihn “abzuholen”. Nach einer kleinen “So zu tun als wäre man krank ist doof”-Standpauke kam ich wieder zurück in meinen Klassenraum, wo mich folgender Chor empfang:

Claudia bekommt keinen Snack! Claudia bekommt keinen Snack!

Oha! Bekomme ich schon Ärger von kleinen Kindern. 😉 Im Moment sind einige eh in einer Phase, in der sie jedem erzählen, wie er sich zu verhalten hat, aber gegen mich?! Meuterei in der Nursery!

* Unter anderem ich. Ich trinke sogar die blöde Nattô-Suppe. Und esse den Fisch. Ich bin eine Kämpferin! Quatsch, ich glaube einfach, dass ich, wenn ich von den Kindern etwas verlange, das zumindest selbst einhalten sollte.

Update.

Der Herbst hat Einzug gehalten, und irgendwie passiert nichts, worüber sich ein ganzer Eintrag verfassen lassen würde. Letzten Sonntag hatten wir einen Taifun, der mich kaum schlafen ließ, aber über Taifune schrieb ich schon mal.

Deswegen, ein kleiner Zwischenstand.

Ich habe ein Sozialleben! Letztes Wochenende war ich mit Mitarbeiterinnen trinken. Wir waren in zwei verschiedenen Läden, haben viel gequatscht, relativ viel getrunken und hatten Spaß. Zurück nach Hause ging’s mit der letzten Bahn.

Bei meinem Mann läuft es auch besser! Wir frühstücken zusammen und zum Abendessen ist er auch meist zuhause. Hoffentlich bleibt das erstmal ein wenig so. Heute ist er in der Firma um zu klären wie es nach der jetzigen Baustelle weitergeht.

Meine Koreanischstunden zeigen langsam Wirkung. Ich werde regelmäßig gelobt und irgendwann kann ich auch mehr sagen als “Ich habe einen Kaffee bestellt. Jetzt ist ein Kaffee vor mir. Der Kaffee ist heiß.” (auf dem Niveau befindet sich das im Moment). Sprachenlernen macht mir noch immer viel Spaß und lässt Ehrgeiz in mir aufkommen.

Ab morgen fange ich tatsächlich mit Hot Yoga an. Bitte achtet nicht auf das Datum des verlinkten Beitrags. 😉 Ich freu mich drauf, es ist ja schon seit längerem bitter nötig.

Außerdem bekomme ich am 25. und 26. Oktober wahrscheinlich Urlaub und wir werden wahrscheinlich nach 金沢 (Kanazawa) fahren. Hundert Prozent sicher ist es noch nicht, aber höchst wahrscheinlich. Urlaub! Wegfahren!

Gegenseitige Rücksichtnahme.

Gegenseitige Rücksichtnahme wird in Japan groß geschrieben. Das merkt man besonders beim Bahnfahren. Man stellt sich nämlich an den Markierungen, an denen die Türen sich befinden werden, an. So hat man eine schöne Reihe, und keiner versucht sich offensichtlich vorzudrängeln. In der Bahn selbst wird man angehalten, sein Handy auf Vibrationsalarm zu stellen (マナーモード; Manieren-Modus) und nicht zu telefonieren. Außerdem gibt es Sondersitze für ältere Herrschaften, Schwangere und körperlich eingeschränkte.

Es herrscht keine Atmosphäre, in der man großen Lärm verursachen will. Das ist eine Art unsichtbare Vereinbarung, die man eingeht sobald man einsteigt. Als ich im März in Berlin in der Bahn saß, fühlte ich mich oft unwohl. Leute reden laut, telefonieren und machen generell Lärm, der nach einem Jahr in Japan unglaublich bedrohlich wirkt. Gesprochen wird in Japan nur in normaler Lautstärke und (meist) nicht über fünf Sitze hinweg, und Musik, die aus Ohrhörern dringt, erklingt auch selten. Das ist sehr entspannt und lädt zum Schlafen ein. Doch!

Die unsichtbare Vereinbarung gilt offensichtlich nicht für die älteren Herrschaften oder Kinder. Beinahe immer, wenn ein Handy laut klingelt, tut es das meist in den tiefen einer Tasche an der Hand eines älteren Herrn oder einer älteren Dame. Diese müssen erst mitbekommen, dass das ihr Handy ist, dann herausfinden, wo es sich befindet, um dann den Anruf anzunehmen – meist mit einem kurzen “Ich kann grad nicht, ich sitze in der Bahn”. Na das hat es mir gebracht. Neben älteren Frauen in einem Café zu sitzen ist auch schrecklich, denn sie sind laut. Schrecklich laut. Aber zurück zu Bahnen.

Heute hatte ich ein kleines Mädchen mit seiner Mutter in meiner Bahn. Ich sehe auf Arbeit genug verzogene Kröten, auf dem Heimweg versuche ich ihnen aus dem Weg zu gehen. Sie stiegen leider nach mir ein und es gab keine anderen Sitzplätze mehr. Auf jeden Fall fing die Tochter an auf dem iPhone mit Hilfe ihrer Mutter irgendein Spiel zu spielen. Mit Ton. Nervig, aber ich hätte dabei noch schlafen können. Schlaf war offensichtlich auch das Ziel der Krötenmutter, denn plötzlich erklangen mysteriöse Stimmen, und das Kind sah sich in einer vollbesetzten Bahn ohne Kopfhörer in relativ großer Lautstärke einen Anime an. Die Mutter schlief. Währenddessen streckte das Kind sich auf dem Sitz hin und her, den neben ihr sitzenden Mitreisenden vollkommen ignorierend, streckte ihre Füße gegen eine Metalstange und erfreute sich seines Lebens. Das ist mir tatsächlich das erste Mal, seit ich nach Japan gezogen bin, passiert. Anime auf voller Lautstärke im Zug.

Das Problem der Japaner ist, dass sie nichts sagen. Sie gucken nur und sind genervt. Es gibt es den Ausdruck 空気を読む (Kûki wo yomu; wörtl. “die Luft lesen”), was die Fähigkeit, die Atmosphäre oder Stimmung zu fühlen, beschreibt. Statt Dinge direkt gesagt zu bekommen, wird oft erwartet, dass man sie irgendwie “spürt”. Als wäre man mit einer Frau zusammen 😉 Es wäre unhöflich jemandem direkt zu sagen, dass er etwas nicht tun sollte, deswegen produziert man eine eisige Stimmung, und erwartet, dass das Gegenüber es bemerkt. Wenn jemand so etwas nicht mitbekommt, ist er KY, abgeleitet von 空気読めない (Kûki yomenai; “die Luft nicht lesen können”). Die Mutter war eindeutig KY. Ich sage dann meist auch nichts, obwohl ich so gern würde. Ich hatte auch die perfekte Chance, denn Krötenmutter und Kröte stiegen an meiner Station aus. Natürlich nicht ohne dass mir das Kind auf die Füße trat. Gesagt habe ich trotzdem nichts, was natürlich vollkommen falsch war, aber ich kann mir immerhin sagen, dass ich das Kind zumindest streng angesehen habe. Lies die Luft, Kind!