Nagano, Teil 2: Auf in die Berge!

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Am Donnerstag stiegen wir um vier Uhr morgens aus unserem Hotelbett. Der erste Bus nach Kamikōchi (上高地) verließ Matsumoto um halb sechs.

Kamikôchi ist ein Tal in den japanischen Alpen im Chūbu-Sangaku Nationalpark (中部山岳国立公園). Im Winter ist Kamikōchi geschlossen, nur besonders Mutige wagen sich dann in die Berge.

Hinaufzufahren ist etwas umständlich, weil der letzte Teil der Strecke für den normalen Straßenverkehr gesperrt ist. Man nimmt entweder den Bus oder ein Taxi. Es gibt sogar Busse von Tokyo aus! Wir fuhren mit einem von nur zwei direkten Bussen von Matsumoto. Ansonsten muss man mit der lokalen Bimmelbahn bis nach Shinshimashima (新島々)* fahren und dort umsteigen.

Hin und zurück kostet es pro Person etwas weniger als 5,000 Yen (ca. 36€), alle Tickets gelten entweder für den direkten Bus oder auch die Anbindung nach Shinshimashima und den Bus von dort.

* Was ein großartiger Name! Hat uns viel Unterhaltung beschert. 😀 新島々の真島さん (Shinshimashima no Mashima-san; Herr Mashima aus Shinshimashima)

Je höher in die Berge wir mit dem Bus fuhren, umso schlechter wurde das Wetter. War ja klar. Warum sollten uns auch die Wettergötter gut gesinnt sein?

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Oben angekommen war es ziemlich kalt. Etwa 16°C sind etwas unangenehm, wenn man bisher mit den hohen tokyoter Temperaturen zu kämpfen hatte. Sobald man am Bus Terminal angekommen ist, muss man übrigens Nummerntickets für den Bus, mit dem man zurückfahren will, besorgen. Sonst kommt man ewig nicht vom Berg runter.

Nach einem kurzen Stopp für ein Stück Kuchen und eine Tasse heißen Kaffee machten wir uns auf den Weg von der Kappa-Brücke (河童橋) zur Hotaka-Brücke (穂高橋). Die meisten Wege auf der Strecke waren sehr gut befestigt, auch wenn wir uns immer einmal im Pfützen schlängeln mussten. Wegen des Regens konnte man die umliegenden Berge leider nicht so gut sehen, das wäre wahrscheinlich ein noch majestätischerer Anblick gewesen. 🙁

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Weil wir wie Espenlaub zitterten, beschlossen wir einen Zwischenstopp im Kamikōchi Onsen Hotel (上高地温泉ホテル) einzulegen. Für 800 Yen, plus 300 Yen für ein geliehenes Badehandtuch und 200 Yen für ein gekauftes kleines Handtuch (insgesamt also etwa 9,40€) konnten wir die heißen Quellen genießen. Eines der Bäder liegt unter freiem Himmel, direkt im Wald. Ich weiß nicht, ob ich jemals vorher so dankbar für die heißen Quellen war! Nach einer halben Stunde war mein Körper aufgewärmt, und wir marschierten weiter.

In der Zwischenzeit hatte es aufgehört zu regnen, und in der Hoffnung doch noch gutes Wetter genießen zu können beschlossen wir unsere Abfahrt weiter nach hinten zu verschieben.

Nachdem wir auf der Brücke auf wilde Affen getroffen waren und einen Anschlag sahen, auf dem vor wilden Bären gewarnt wurde, besichtigten wir das Kamikōchi Imperial Hotel (上高地帝国ホテル). Für uns wäre es natürlich komplett unerschwinglich, mit Restaurantpreisen, die einem die Tränen in die Augen steigen lassen. 2,700Yen (19,55€) für Spaghetti Carbonara!

Nach einem viel günstigeren Mittagessen mit Pilzen aus der Gegend beschlossen wir, eine noch weitere Strecke auf uns zu nehmen: Hoch zum Myōjin-Teich (明神池). Auf dem Weg trafen wir viele Leute, die viel besser ausgerüstet waren als wir: Mit Wanderschuhen, Wanderstöcken und Allwetterkleidung. Wir sahen aus, als wären wir gerade in Tokyo beim Einkaufen. An sich wäre das sicher auch kein Problem gewesen, hätte es nicht immer wieder angefangen zu regnen.

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Als wir nach etwa 50 Minuten endlich am Teich angekommen waren und Eintritt bezahlt hatten (!!) mussten wir feststellen, dass der starke Regen das ganze Erlebnis etwas versaute. Was normalerweise ein ruhiger See wie aus einem Märchen ist, war durch das ewige Platschen der Regentropfen kaum als mystisch zu erkennen.

Weil wir dann doch schon etwas durchweicht waren, bestellten wir in einem Gasthaus in der Nähe warme Getränke, bevor wir uns auf den Weg zurück zum Bus Terminal machten. Im Platzregen. Mit leichten Turnschuhen. Nun war das natürlich nicht ganz so schlau, aber der Wettervorhersage, in Tokyo recht zuverlässig, kann man in den Bergen einfach nicht trauen. Dort war erst für den späten Nachmittag Regen angesagt worden.

So stiegen wir um 14 Uhr, sieben Stunden nach unserer Ankunft, in den Bus, stiegen später in die Bimmelbahn um und besuchten erstmal die heiße Quelle in unserem Hotel. Deswegen ist das Dormy Inn unser liebstes günstiges Hotel.

Trotz des schlechten Wetters war Kamikōchi wunderschön. Das Wasser ist sehr klar, das Grün kräftig und die Luft sauber. Es wäre natürlich viel schöner gewesen, wenn das Wetter besser gewesen wäre, aber man kann nicht alles haben. So haben wir zumindest einen guten Grund noch einmal hinzufahren. 🙂

Nagano, Teil 1: Bahnfahrt, Affen und Onsen.

Nagano: Reisfelder und Berge, Berge und Reisfelder.

Nagano: Reisfelder und Berge, Berge und Reisfelder.

Wie angekündigt fuhren wir letzten Mittwoch, zur Sommerreisezeit, in den Urlaub. Also, nach deutschem Verständnis vielleicht eher eine Kurzreise, schließlich waren wir nur für drei Tage weg.

Aus Gründen waren wir die letzten Jahre immer entweder mit dem Auto oder dem Flugzeug unterwegs. Tatsächlich hatte ich, bis auf eine Ausnahme, fast vier Jahre lang keinen Shinkansen mehr betreten. Seit diesem Jahr fährt ein neuer Shinkansen bis nach Kanazawa, und weil wir zu viel Geld zu spät gebucht haben, fuhren wir sogar im Green Car, einem ein wenig luxuriöseren Abteil.

Die Fahrt war wunderbar unanstrengend, weniger als zwei Stunden dauerte es bis nach Nagano (長野)*. Bei unserer Ankunft stellten wir fest, was wir eigentlich schon wussten: Nagano ist ziemliche Pampa. Zwar hat man den neuen Shinkansen als Anlass genommen den Bahnhof auszubauen, aber ringsherum ist nichts. Für unseren ersten großen Programmpunkt fuhren wir noch eine weitere Stunde mit dem Auto in den noch ländlicheren Teil der Präfektur: Affen gucken. 😀

* Sowohl die Präfektur als auch die Hauptstadt der Präfektur heißen Nagano.

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Der Jigokudani Wildaffenpark (地獄谷野猿公苑) ist vor allem dafür bekannt, dass im Winter Affen in den heißen Quellen baden. Nachdem man durch die Landschaft gegurkt und eine gefährlich enge und sich windende Straße erklommen hat, stellt man fest, dass man vom Parkplatz aus laufen muss. Zwanzig Minuten. Die Hälfe davon bergauf. Aber wir sind ja jung und stark, außerdem warten am Ende der Tortur wilde Tiere.

Japanmakkaken (ニホンザル) sind in der Gegend tatsächlich heimisch. Weil es im Winter recht kalt wird, Nagano war 1998 Austragungsort der olympischen Winterspiele, sind die ausgewachsenen Tiere im Vergleich zu z.B. Totenkopfäffchen sehr groß und stämmig. Auch fehlen ihnen die langen Schwänze für die Balance, das würde im Winter wahrscheinlich zu viel Energie stehlen.

#MGP2728

Die Affen sehen natürlich unglaublich flauschig aus, trotzdem darf man nie vergessen, dass sie wild sind. Sie übernachten in den Wäldern, und die Pfleger sind hauptsächlich dafür da Affenexkrement wegzuräumen.

Direkt am Eingang gibt es deswegen ein Schild mit einfachen Regeln: Den Affen nicht in die Augen schauen, nicht versuchen den Affen gut zuzureden**, nicht anfassen und vor allem kein Futter geben oder in ihrer Gegenwart essen.

** Sehr schön erklärt mit “Affen verstehen keine Menschensprache und sehen es als Provokation.”

Ein recht bekanntes Bild zeigt einen Affen mit iPhone. Ein Besucher nervte einen Affen mit dem Fotografieren, dieser nahm das iPhone an sich und ertränkte es. Also: Nicht zu nah ran gehen und nicht zu aufdringlich sein. Ein Teleobjektiv lohnt sich. 🙂 Ich mag Affen sehr gern als Motiv, weil ihre Emotionen für Menschen sehr offensichtlich lesbar sind. Außerdem sehen sie alle ein wenig aus wie alte Männer. 😉

Im Sommer gehen die Affen übrigens nicht gern ins heiße Wasser. Zum Glück gibt es direkt neben den heißen Quellen auch noch einen kühlen Fluss, an dem sie die Zeit verbringen.

#MGP2836

Auf unserem Rückweg nach Nagano lag die heiße Quelle Shibu-Onsen (渋温泉). Der Ort ist tatsächlich sehr 渋い (shibui**). Die kleinen öffentlichen Bäder und traditionellen Gasthäuser erinnern irgendwie an den Ghibli Anime Chihiros Reise ins Zauberland. 🙂 Sehr liebenswert auf jeden Fall.

Von den öffentlichen Badehäusern gibt es übrigens neun; wenn man in allen neun badet, bringt es wohl Glück. Wenn man aber weder dort wohnt noch im Ort übernachtet, kann man nur in dreien Baden. Ob man dann wenigstens ein Drittel Glück bekommt, weiß ich aber auch nicht. Wenn man sowieso in der Nähe ist, sollte man Shibu-onsen auf jeden Fall besuchen, es lohnt sich allein für die Atmosphäre. 🙂

** Der Wikipedia-Artikel nimmt das natürlich viel ernster als der Volksmund. “Shibui” ist simpel, etwas älter, irgendwie nostalgisch und wirkt so, als wäre die Zeit stehengeblieben. Ein altes Café ist vielleicht shibui, ein alter Thronsaal eher nicht. Nicht zu verwechseln mit しょぼい (shoboi; heruntergekommen oder schäbig).

Für uns ging es wieder zurück nach Nagano um mit dem Expresszug nach Matsumoto (松本) zu tuckern. Darüber dann mehr in zwei Tagen!

Blau, blau, blau sind alle meine Ampeln.

IMGP8661Bei manchen Dingen könnte man meinen, sie wären überall so. Ampeln zum Beispiel: Grün, Gelb, Rot. Das ist international so festgelegt, daran ist nichts zu rütteln. Oder etwa doch? In Japan sagt man nämlich nicht “Es ist grün!” (緑です! Midori desu!), sondern “Es ist blau!” (青です! Ao desu!).

青 (Ao; Blau) hat eine sehr viel längere Geschichte als 緑 (Midori; Grün)*. Die Farben im alten Japanisch waren Rot, Weiß, Schwarz und Blau. Die ersten drei Farben sind übrigens nicht untypisch: Wenn eine Sprache zwei Farben kennt, sind es meist Weiß und Schwarz. Kennt sie drei kommt Rot dazu. Danach kommt oft entweder Gelb oder Grün; in Japan war es Blau, 青 (Ao).

* Erst seit Ende des zweiten Weltkriegs wird in Lehrmaterialien für Kinder zwischen Grün und Blau unterschieden. Noch früher waren kalte Grüntöne blau und warme Grüntöne gelb.

Aber was ist eigentlich alles blau, wenn man kein Wort für Grün hat? Blätter sind blau – 青葉 (Aoba; frische Blätter). Grünes Gemüse ist blau – 青野菜 (Aoyasai; grünes Gemüse). Äpfel sind blau – 青りんご (Aoringo; grüner Apfel). Auch heute noch.

Selbst als 緑 (Midori; grün) eingeführt wurde, wurde es erst nur als Abstufung von blau wahrgenommen. Als dann um 1930 die ersten Ampeln aufgestellt wurden, hieß das Grüne Licht 緑色信号 (Midori-iro Shingô; grünfarbenes Signal). War ja schließlich so festgelegt.

Aber irgendwie setzte sich das nicht durch. Die Ampeln waren grün, die Menschen nannten sie blau. 青信号 (Aoshingô; blaues Signal) geht auch viel einfacher über die Lippen. Man hätte natürlich versuchen können es durchzusetzen. Eine Marketingkampagne für das grüne Licht entwerfen, mit Kinderbüchern und Liedern. Anpassen an den internationalen Standard, keine Farbsonderregelungen für Japan!

IMGP7999Japan hat sich letztendlich für den Weg des geringeren Widerstands entschieden: Japanische Ampeln sind blau. Also natürlich sind sie nicht komplett blau, an internationale Regeln hält man sich hier schon, aber sie sind so bläulich wie es unter den Bestimmungen irgend möglich ist.

Vergleicht einmal das Titelbild mit dem Ampelmännchen in Berlin. Das Ampelmännchen in Berlin ist nicht nur stylischer als sein japanisches Gegenstück, sondern auch viel viel grüner.

Sprachen sind schon etwas Schönes. 🙂

Über chinesische Touristen.

IMG_2306Anfang Juni nahmen mein Mann und ich uns einen Tag frei und besuchten Tokyo Disneyland. An diesem Tag war gefühlt die Hälfte aller Gäste chinesisch. Ich weiß nicht, ob zu der Zeit in China einfach Reisezeit war oder ob der günstige Yen etwas damit zu tun hatte, aber aus allen Richtungen hörten wir Chinesisch*. Und Disneyland war nicht wirklich gut vorbereitet.

* Ich weiß dass es kein “Chinesisch” an sich gibt. Ich kann es aber nicht auseinanderhalten.

Aber erst einmal ein wenig Hintergrund.

Chinesische Touristen lassen mit Abstand das meiste Geld im Land. Die neuen großen Tax-Free-Tempel an z.B. der 銀座 (Ginza) sind wahrscheinlich hauptsächlich mit chinesischen Kunden im Blickfeld erbaut worden. An den Flughäfen sieht man chinesische Touristen mit riesigen Kartons von Elektronikherstellern und sie kaufen die Luxusboutiquen leer.

Trotzdem sind Chinesen aber nicht die beliebtesten Touristen. Vorurteile sind unter anderem: Chinesen reisen im Rudel, sie sind laut, sie scheren sich nicht um Regeln und sie nehmen keine Rücksicht auf die Menschen in ihrem Umfeld. Im Vergleich dazu ist es wahrscheinlich die höchstgeschätzte japanische Tugend bloß niemandem auf die Nerven zu gehen. Leise treten, und lieber für sich selbst eine Unanehmlichkeit in Kauf nehmen als irgendjemanden in Verlegenheit zu bringen.** Es passt also irgendwie einfach nicht zusammen und Japaner sind beim Anblick chinesischer Touristen oft direkt genervt.

** Das gilt natürlich nur für Japaner unter 65 Jahren.

Chinesen sprechen auch, zumindest gefühlt, viel seltener als Koreaner Japanisch. Was total in Ordnung ist, von Touristen kann man nicht verlangen, dass sie mehr als drei Worte sagen können (“Hallo”, “Tschüss”, “Danke”). Nur leider sprechen noch weniger Japaner Chinesisch als Englisch. Und Englisch ist ja schon so schwer und peinlich und ach…

Womit wir zurück bei Disneyland sind. In einer Attraktion, Star Tours, wird vor Start geprüft, ob alle angeschnallt sind. Um zu testen ob wirklich alle Sicherheitsgurte fest sind, wird von den Besuchern an einem daran befestigten gelben Band gezogen. Sämtliche Informationen zu dieser Prozedur gibt es ausschließlich auf Japanisch. Wir fuhren dreimal mit Star Tours und dreimal gab es Probleme, weil chinesische Besucher nicht verstanden, was von ihnen verlangt wurde. Klar, ohne Erklärung ist es einfach nicht direkt ersichtlich. Wenn die japanischen Mitarbeiter aber einfach immer weiter und lauter auf Japanisch auf die chinesischen Besucher einreden frage ich mich, ob sie nicht in ihrer Schulzeit die Worte “yellow”, “strap” und “pull” gelernt haben.

Disneyland ist ein riesiger Touristenmagnet, nicht nur für inländische Besucher. An dem Tag unseres Besuchs haben sie mit Sicherheit die Hälfte ihres Umsatzes mit nicht-japanischen Touristen erzielt. Angesichts der derzeitigen Situation des chinesischen Aktienmarkts müssen die Mitarbeiter dort vielleicht nicht in naher Zukunft Chinesisch lernen, aber ein bisschen Englisch kann man dann doch schon erwarten. In fünf Jahren sind die olympischen Spiele in Tokyo, bis dahin muss das irgendwie werden für ihre お・も・て・な・し (Omotenashi, Gastfreundlichkeit), mit der sie sich die Zusage geangelt haben. Wer ausländische Touristen will sollte zumindest Englisch sprechen.