Literatur, Burgruinen und kalte Nudeln: Ein Spaziergang durch Morioka

Unsere Wahl von Morioka als Reiseziel hatte übrigens nichts mit dem Literaten Miyazawa Kenji zu tun. Ursprünglich hatte ich die Stadt in einem Buch über alte Häuser in Japan gefunden. Morioka ist eine kompakte Stadt, in der sich die meisten interessanten Gebäude auf kleinem Raum befinden und daher bequem zu Fuß erkundet werden können.

Wir begannen unseren Spaziergang bei einem neuen alten Schrein. Der Morioka Hachimangū (盛岡八幡宮) wurde 1062 erbaut um für den Sieg in einem Krieg zu beten. 500 Jahre später wurde er zum Schutzschrein der neu erbauten Burg Morioka umgewidmet. Verschiedenste Katastrophen überstand das Hauptgebäude des Schreins aber nicht, das jetzige Gebäude wurde 2006 errichtet.

Es ist in Japan nicht selten, dass das “historische” Gebäude ziemlich neu ist. Aber ein Schrein besteht eben auch dann seit über eintausend Jahren, wenn das Gebäude erst vor weniger als zwanzig erbaut wurde.

Von dort aus führte uns unser Weg in Richtung des charmanten kleinen Ladens Hirafune Seinikuten (平船精肉店). Dieser historische Fleischereibetrieb, der seit Generationen besteht, ist nicht nur bei Einheimischen beliebt, sondern zieht auch viele Besucher an. Im Laden kann man sich auch alte Fotos ansehen, und wenn der Hunger zuschlägt, gibt es hier köstlich aussehende Broiler.

Nur wenige Schritte entfernt liegt in einem alten Bankgebäude das Morioka Taboku Miyazawa Seishunkan (もりおか啄木・宮沢青春館), ein Museum, das den jungen Jahren von Ishikawa Takuboku und Miyazawa Kenji gewidmet ist. Beide Literaten waren eng mit Morioka verbunden, und die Ausstellung zeigt viele persönliche Gegenstände, Manuskripte und Fotografien. Mir persönlich wäre es ja unglaublich unangenehm, wenn ich wüsste, dass nach meinem Tod meine Briefe der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden – dann lieber den Blog hier ausdrucken und ausstellen.

Unser nächstes Ziel war eines der Wahrzeichen der Stadt: das imposante Iwate Ginkō Rengakan (岩手銀行赤レンガ館). Dieses historische Bankgebäude, ein Meisterwerk westlicher Architektur, wurde von Kingo Tatsuno entworfen, der auch den berühmten Bahnhof Tokyo schuf. Mit seinen roten Backsteinen und den kunstvollen Details hebt sich das Gebäude stark von seiner Umgebung ab. Heute dient es als Museum, große Bereiche kann man aber auch kostenlos besuchen.

Nur einige wenige Minuten entfernt fanden wir uns im Burggarten von Morioka (盛岡城跡公園 Morioka-jō-ato Kōen) wieder. Von der ursprünglichen Festung ist zwar wenig erhalten, aber der Park lädt zum Verweilen ein. Das dachte sich auch Ishikawa Takuboku, einer der erwähnten Literaten, der sich oft aus der Schule schlich, um dort Tagträumen nachzuhängen.

不来方の
お城の草に
寝ころびて
空に吸はれし
十五の心
Im Gras der Burg Kozukata liegend
Wird mein fünfzehnjähriges Herz in den Himmel gesogen

Direkt in der Nähe des Burggartens befindet sich das Sakurayama-Schrein (桜山神社 Sakurayama-Jinja). Dort wurde während unseres Besuchs ein Auto geweiht. Das ist gar nicht mal so ungewöhnlich, man bittet die Götter dabei um Schutz und eine sichere Fahrt. Mit unserem Auto haben wir das freilich nicht gemacht, ich kann auf die Fahrkünste meines Mannes vertrauen.

Einige Minuten zu Fuß entfernt sahen wir uns das letzte historische Gebäude auf meiner Liste an: Das Kon’yachō Banya (紺屋町番屋) wurde 1913 als Feuerwehrgebäude erbaut und ist ein Symbol der Nachbarschaft. Das rote Dach und die blau angestrichene Holzverschalung ist absolut typisch für Gebäude aus dieser Zeit, ich finde es unglaublich charmant. 🙂 Das Gebäude wird jetzt für einen kleinen Laden und ein Café genutzt. Ich lieb es, wenn Gebäude weiterverwendet werden. In Deutschland ist das ziemlich selbstverständlich, in Japan wird Altes leider oft abgerissen.

Bevor unser Shinkansen zurück nach Hause wieder abfahren würde, wollten wir unbedingt noch mindestens eine Spezialität Moriokas essen und entschieden uns für Reimen (冷麺), kalte Nudeln. Dieses Gericht kommt ursprünglich aus Korea. Yang Yongcheol, später Aoki Teruhito, kam mit 24 Jahren nach Japan und eröffnete 1954, mit 40 Jahren, ein Restaurant für koreanische Küche. Dort kochte er das koreanische Gericht mit japanischen Zutaten, und die Morioka Reimen waren geboren. Ich liebe koreanische Küche sowieso, die Reimen waren keine Ausnahme.

So gesättigt stiegen wir in unsere Bahn und ich verschlief die zweistündige Fahrt einfach komplett. Schön war’s.

Veröffentlicht in: Iwate

2 Gedanken zu „Literatur, Burgruinen und kalte Nudeln: Ein Spaziergang durch Morioka

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