Als meine Eltern in Japan waren, gab es einen Tag, an dem grausiges Wetter angesagt war: Regen und Kälte. Nachdem wir dieses Frühjahr bereits in einer sehr schönen Ausstellung gewesen waren, bot es sich an, noch einmal einen Museumsnachmittag zu unternehmen. Am besten möglichst ohne den Regen abzubekommen.
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Violà: Die Tokyo Station Gallery!
Der Bahnhof Tokyo ist der schönste Bahnhof der Stadt. 1914 erbaut ist das Backsteingebäude auf der Marunouchi-Seite (in Richtung Kaiserpalast) ein wunderschöner Gegenpol zu den vielen Wolkenkratzern des Viertels.
Vor zehn Jahren wurde eine aufwändige Restaurierung und Erdbebensicherung fertiggestellt.
Was viele vielleicht nicht wissen: In dem Gebäude befindet sich nicht nur ein Bahnhof, sondern auch ein Luxus-Hotel, ein Restaurant, eine Hochzeitshalle und eben ein Museum. Der Eingang zum Museum liegt direkt am Marunouchi North Exit (丸の内北口).
2022 sind es 150 Jahre, seit 1872 die erste Bahnlinie Japans eröffnet wurde. Und genau um diese 150 Jahre ging es bei der Ausstellung.
Die erste Eisenbahn fuhr zwischen Shinbashi und Yokohama. Die Bahn, die Schienen und auch sonst alles Notwendige hatte man aus England importiert. Bis 1854 hatte sich Japan über 200 Jahre lang vom Rest der Welt abgekapselt, jetzt wurde Japan in die Gegenwart gezerrt.
Im ersten Teil der Ausstellung wurden Zeichnungen und Malereien gezeigt, die die Einführung der Bahn, ihre Ausbreitung und ihre Auswirkungen auf den Alltag der Menschen Japans thematisieren. Für viele von uns sind öffentliche Verkehrsmittel wahrscheinlich so selbstverständlich, dass wir uns gar kein Leben ohne sie vorstellen können. Aber die Eisenbahn hat Leben und vor allem Städte geprägt wie sonst wahrscheinlich kaum eine andere Technologie.
Im zweiten Teil der Ausstellung ging es dann unter anderem um die Rolle der Bahn und der Bahnhöfe im und nach den Kriegen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Japan ist ein Land, in dem der unrühmliche Teil der Geschichte oft unter den Teppich gekehrt wird. Deswegen war ich positiv überrascht, dass mit mehreren Ausstellungsstücken auf die Zwangsarbeit, unter deren Ausbeutung die Japaner ihr Bahnnetz in besetzten Teilen Nordostchinas ausbauten, hingewiesen wurde.
Insgesamt war die Ausstellung sehr umfangreich, aber leider wie so oft großteils nur auf japanisch beschildert. Leider läuft sie nur noch bis Januar, aber es kommt sicher wieder eine andere spannende Ausstellung. Das Gebäude an sich ist einen Besuch auf jeden Fall wert!
Unterirdisch erreicht man vom Bahnhof Tokyo aus übrigens eine Menge an Gebäuden, vor allem Einkaufszentren. Dort einen Nachmittag totzuschlagen kann ich jedem nur empfehlen.