Letzten Freitag hat meine berliner Freundin Anna mit ihrem Freund bei uns übernachtet. Den Tag hatte ich mir freigenommen, und wir fuhren in die Stadt. Auf unserem Weg kam uns die Idee, zur 春画展 (Shunga-ten; Shunga-Ausstellung) zu fahren.
春画 (Shunga), wortwörtlich “Frühlingsbilder”, bezeichnet erotische Bilder, vor allem aus der Edo-Zeit (1603-1868). Heute sind sie als Kunst anerkannt, aber machen wir uns nichts vor: Es sind historische Masturbationsvorlagen.
Warnung: Ab hier Sex.
Shunga gab es schon in der Heian-Zeit (794-1185), später wurden sie von anatomischen Zeichnungen aus China und Werken eines chinesischen Künstlers (Zhou Fang) inspiriert. Von Zhou Fang kommt wohl die Neigung Geschlechtsorgane absurd gigantisch darzustellen. Was bei Shunga sofort auffällt: Riesige Penisse, riesige Vaginas, unmögliche Positionen und viel Kleidung.
Im alten Japan badeten Männer und Frauen zusammen nackt in Badehäusern, nackte Körper an sich waren also recht langweilig. Über die Kleidung, meist Kimono, konnte man aber hervorragend die Position der Akteure kommunizieren. Die Kleidung ist meist mit unglaublich viel Detail gemalt, und lenkt in ihrer Schönheit oft vom eigentlichen Geschehen ab.
In der Edo-Zeit wurden Shunga richtig populär, und es wurde sogar Aberglauben mit ihnen verbunden. Hatte ein Samurai ein Shunga bei sich, würde er im Kampf nicht sterben, und hatte man ein Shunga im Haus, würde es nicht abbrennen. Klingt nach Ausreden. 😉 Manche Töchter bekamen Shunga als Mitgift, quasi als Lehrbücher.
Auch die großen 浮世絵 (Ukiyo-e; japanische Holzschnitte)-Meister fabrizierten übrigens, oft unter Pseudonym, Shunga. Es wurde einfach viel besser bezahlt. Von einem Bild konnte ein Meister wohl ein halbes Jahr leben.
Natürlich versuchte man immer wieder, Shunga zu verbieten, es gelang aber nie so ganz Shunga auszumerzen. Kein Wunder, geht es doch um einen der grundlegensten aller menschlichen Triebe. Letztendlich hat der Westen das Ende der Shunga herbeigeführt. Nicht, weil die besuchenden Westler von den expliziten Darstellungen schockiert waren, auch wenn das den Japanern sicher etwas peinlich war – nein, sie brachten die Kamera nach Japan. Wie viel leichter ist es, ein Foto zu machen, als einen Holzdruck zu erstellen? 😉
Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen Shunga und pornographischen Manga (japanischen Comics): Während die Welt sich über Japans Tentakelfetisch lustig macht, ist der nämlich durchaus nichts Neues. In den 1820ern zeichnete 葛飾北斎 (Katsushika Hokusai), wahrscheinlich bekannter für seine Ansichten des Fuji, das Bild von der Fischerfrau und dem Oktopus.
Eine andere Eigenart von solchen Manga, die vielleicht nicht allen bekannt ist, ist die Innenansicht. Quasi ein Querschnitt der Sexualorgane, damit man sieht, was innen abgeht. Falls man auf so etwas steht. Ich finde ja, dass das dann doch etwas mehr von sehr spezfischen Anatomie-Zeichnungen hat.
Möglicherweise sind die Positionen in den Manga sogar weniger schmerzhaft anzusehen als die in Shunga.
In Shunga werden übrigens auch homosexuelle Beziehungen dargestellt, obwohl solche Beziehungen damals oft in einer Form entstanden, die heute als kritisch gesehen werden würde. Wenn junge Mönche in ein Kloster kamen, wurden sie oft die “Liebhaber” von viel älteren Mönchen; bei Samurai war es ähnlich. Missbrauch von Schutzbefohlenen würde man das heute wahrscheinlich nennen… Beziehungen zwischen Frauen wurden sehr viel seltener dargestellt, waren aber wohl auch nicht so problematisch.
Die Ausstellung findet noch bis zum 23. Dezember im 永青文庫 (Eiseibunko) statt. Jeden Montag ist Ruhetag. Der Eintritt beträgt 1,500Yen (ca. 11€), und man muss recht viel Zeit einplanen. Selbst am frühen Freitag Nachmittag waren unglaublich viele Besucher dort. Die Ausstellung ist nur für Besucher über 18 Jahren zugänglich.
Der Museums-Shop ist aber in einem anderen Gebäude untergebracht und kann auch ohne Besuch der Ausstellung frequentiert werden. 🙂 Es ist auf jeden Fall super interessant, wenn auch nicht sehr … anregend.
Bus 白61 vom Bahnhof Mejiro in Richtung Shinjuku (新宿駅西口), aussteigen in Mejiro-dai 3-chôme (目白台3丁目). Es empfiehlt sich eine Karte oder Google Maps.
(Titelbild: Utamakura (Kopfkissengedicht) von Kitagawa Utamaro (1788))
Shunga – interessant! In Europa, insbesondere im Süden heißt es Bunga Bunga…
😀
Ah, da ist der Beitrag ja. 🙂
Ich hab vorletztes Jahr eine Ausstellung zu Shunga in London im British Museum gesehen und fand das auch sehr spannend, gerade auch die Frage “Ab wann ist es Kunst und wann ist es Porno”. Spannend sicher auch der Einfluss auf die Kultur bis heute (Tentakel!), auch wenn ich das aus der Ferne freilich nicht beurteilen kann. 😉
Viele Grüße
Vinni
Dann waren wir in derselben Ausstellung. 😉 Die Werke waren wohl icht genau dieselben wie bei der im British Museum, aber doch großteils. Ich bin mir nicht sicher, wie viele Tentakel es wirklich gibt, aber dass die Tentakel damals in den Manga/Anime so populär waren, hat etwas damit zu tun, dass Penisse zensiert werden mussten – Tentakel aber nicht.
Hat das Bild mit dem Octopus nicht Cooper bei “Mad Men” im Büro hängen? (ab Staffel 3 oder so) Ich wusste nicht, dass da so ein Kult dahintersteht. Wow …
Wenn es Porno wäre, müssten die Shunga ja verpixelt sein! 😉
Bis in die 80er wurden sie tatsächlich nur zensiert gezeigt. Mitte der 90er fand dann die erste unzensierte Ausstellung statt. Braucht halt nur Zeit, um Dinge als Kunst einstufen zu können. 😉
Die Bilder kamen mir relativ bekannt vor *hüstel* *hüstel* bis Anfang des Jahres gab es im Museum Folkwang in Essen auch eine Ausstellung “Inspiration Japan” von Gogh und so… und da gab es einen kleinen abgeschirmten Bereich wo auch Shunga ausgestellt worden war. Eigentlich ziemlich interessant… aber irgendwie auch pervers. Zumindest war es mir unangenehm das ich mit meinen Eltern dort durchgelaufen bin!