Morgens kurz vor neun stehe ich an einer Ampel in Roppongi. Die Luft ist angenehm kühl, nachts hat es endlich geregnet. Mit den teuren ausländischen Autos und den Taxen, die das Straßenbild hier dominieren, fährt ein Fahrradfahrer gemächlich an mir vorbei. Er guckt mich an, nickt mir zu und ist schon wieder weg.
Ich schaue auf Facebook nach, wo ein Bekannter mit dem ich seit Jahren kein Wort mehr gewechselt habe, jetzt lebt. Über Umwege* stelle ich fest, dass er seit einigen Monaten nicht mehr in Japan ist. Er kann es also nicht gewesen sein.
* Oder auch “Internetstalking”.
Ich habe nicht aus einer reinen Laune heraus vor fast sieben Jahren beschlossen nach Japan zu kommen. Die Wurzeln dieses Vorhabens liegen viele Jahre zurück, zu Pokemon und Chobits, und vor allem: Visual Kei, dieser Art Musik, mit der ich heute gar nichts mehr anfangen kann. In der Hinsicht bin ich wahrscheinlich wie viele andere junge Erwachsene – die Vorlieben, die wir als Teenager hatten, verwirren uns heute – nur dass mein Leben japanisch geprägt war. Zwischen meinem 13. und 18. Lebensjahr habe ich quasi Japan geatmet, ohne Rücksicht auf die Nerven meiner Umwelt.
In der Schule war ich von der siebten Klasse bis zum Anfang der Sek II ein ziemlicher Außenseiter. Aber immerhin einer, der über das Internet haufenweise Freunde fand, ob aus Berlin oder anderswo. Meine besten Freunde zu der Zeit lernte ich über ein Internetforum kennen. Als sich meine Japanobsession in Richtung Gothic Lolita wandte, traf ich auf Animexx Mädchen mit denselben Interessen und lernte über sie noch viel mehr Leute kennen. In der Schule hatte ich neben Julia (die mir Jahre später mein Hochzeitskleid nähte) und Melissa (von Breeding Unicorns) noch weitere Freunde, die fast genauso in Japan vernarrt waren wie ich.
Man läge also nicht komplett daneben, wenn man mein Umfeld mit “eine grosse, japanfixierte Blase” beschreiben würde. Mit den meisten Leuten aus dieser Zeit habe ich keinen Kontakt mehr.
Aber dass mir jemand plötzlich in Tokyo über den Weg läuft ist nicht unglaublich unwahrscheinlich. Die meisten meiner Freunde von damals waren schon einmal in Japan, ob im Urlaub oder für längere Zeit. Tatsächlich traf ich 2008 oder 2009 zwei Bekannte aus Berlin auf dem Bahnsteig in Harajuku.
Letztendlich ist mein Bekannter, dem der Fahrradfahrer so ähnlich sah, auf einem anderen Kontinent. Aber ich habe mich mal wieder an all das erinnert, was zu der Zeit passierte, als ich nur gedanklich ständig in Japan war. Wie viel sich verändert hat, mit wie vielen Leuten ich keinen Kontakt mehr habe. Mir macht es eigentlich nur deutlich, wie wichtig die sind, die konstant bleiben. Die, die man nicht oft sieht, und mit denen man nicht ständig quatscht, mit denen man aber ohne nachzudenken Pferde stehlen würde. Danke, ihr wisst wer ihr seid. An euch erinnere ich mich auch ohne dass ein Doppelgänger von euch durch Tokyo läuft. 🙂
Sehr schön geschriebener Betrag 🙂
Vieles von deinem “Werdegang” kann ich so 1 zu 1 auf mich übertragen 🙂
Das Anime- / Manga- / Japan-Fieber hat mich so mit 16 Jahren gepackt. Zu der Zeit gehörte ich zu den wenigen Leuten die schon Internet zuhause hatten.
Heute, mit 32 Jahren, bin ich aber immernoch eng mit meinem Hobby von damals verbunden.
Viele meiner heutigen Reallife Freunde sind meine Chatfreunde von damals, und mit einer davon bin ich mittlerweile auch verheiratet 😉
So gehört sich das! 😀
Viele meiner Freunde haben auch nicht mehr so obsessiv viel mit Japan zu tun. Aber damals war das schon heftig…