Rakugo und Kimodameshi in Minami-Senju.

Dies ist der 500. Eintrag in diesem Blog! Vielen Dank an meine lieben Leser, ihr seid die beste Motivation! 😀 これからもよろしくお願いします!

Letzten Samstag richtete die NPO Japanize ein Event aus, das ich mir nicht entgehen lassen wollte: Rakugo (落語) und Kimodameshi (肝試し)! 😀

Rakugo ist eine humoristische Kunstform. Der Rakugo-ka (落語家) erzählt im Sitzen und nur unterstützt von Gestik, Mimik, einem Fächer und einem Tuch eine dialogreiche Geschichte, die mit einer Pointe endet. Beim klasischen Rakugo sind die Geschichten meist Jahrhunderte alt und werden immer wieder erzählt, dennoch ist es je nach Erzähler etwas anders.

Wer sich das mal anschauen möchte, auf YouTube kann man sich bis es jemand merkt die Serie “Tiger & Dragon” (タイガー&ドラゴン) mit englischen Untertiteln anschauen. 🙂 Dort beschließt ein Yakuza Rakugo-ka zu werden. Jede Folge wird eine andere Geschichte erzählt. 🙂

Dieses Mal ging es aber um ein wenig gruselige Geschichten, denn diese Woche ist Obon (お盆), das japanische Totenfest. Japan ist eh etwas abergläubisch und so kommen in vielen Geschichten Geister, Monster und Götter vor.

Der Tempel ist der 金閣寺 (Kinkakuji; Kinkaku-Tempel) in Kyoto :)

Der Tempel ist der Kinkakuji in Kyoto 🙂

Wir sahen uns in einem alten Badehaus, das jetzt für solche Events genutzt wird, “Shinigami” (死神; Todesgott) und “Okiku no Sara” (お菊の皿; Okikus Teller) an. Erzählt wurden sie von zwei Studenten, die im Rakugo-Club ihrer Universität sind und auch in Altersheimen und Krankenhäusern erzählen.

Es war wirklich interessant, Rakugo einmal live zu sehen!

Nach dem Rakugo wurden wir für das Kimodameshi (肝試し), Mutprobe, bei der man gruselige Orte besucht, zu zwei Tempeln geführt, in denen angeblich Geister erscheinen.

Der erste war der Jōkan-Tempel (浄閑寺), der im ehemaligen Vergnüngungsviertel Yoshiwara-Yūkaku (吉原遊郭) liegt. Er ist dafür bekannt, dass dort, vor allem nach dem großen Ansei-Beben von 1955 viele Prostituierte begraben wurden. Die Toten, denen Gesetzesbruch vorgeworfen wurde, wurden vollkommen nackt in eine Strohdecke eingerollt, mit dem Kaimyō (戒名), das ist der buddhistische Name, den man ins Jenseits mitnimmt, “売女” (Baita; Hure) versehen und einfach im Tempel abgelegt.

In den Tempel selbst kam man zu so später Stunde nicht mehr, aber ich finde es immer faszinierend, was für durchaus auch dunkle Hintergrundgeschichten solche Orte haben können.

So auch der zweite Tempel, den wir besuchten. Der Enmei-Tempel (延命寺) befindet sich auf dem Boden des Kodsukappara-Exekutionsplatze (小塚原刑場), auf dem unter anderem im Zuge der Ansei-Säuberung (安政の大獄) über 200.000 Menschen exekutiert wurden. Auch wurden die Exekutierten Ende des 18. Jahrhunderts für medizinische Lehrzwecke seziert. Ein unglaublich sympathischer Ort also, vor allem dank des Enthauptungs-Jizō (首切地蔵), der Seelen in die Unterwelt begleitet.

Richtig gruselig wurde es dank der netten Gesellschaft übrigens nicht, aber es war schon ziemlich interessant! 😀 Die japanische Geister- und Monsterwelt ist riesig, und alte Gruselgeschichten zu hören macht Spaß! Eventuell verirren sich mein Mann und ich demnächst noch einmal nach Asakusa um Rakugo zu sehen. 😉

Als ich wieder nach Hause kam stand vor der Tür übrigens ein Teller mit Salz – damit die bösen Geister nicht mit reinkommen bestreut man die Schultern und den Kopf zum Beispiel nach Beerdigungen mit etwas Salz. Gruselige Tempel erschienen meinem Mann scheinbar auch gefährlich. 😉

Zum Schluss noch die Geschichte von Okiku und ihren Tellern.

Okikus Geist (Bild aus den Archiven der Nationalbibliothek)

Bitte beachten: Es gibt mehrere Versionen dieser Geschichte.

Okiku ist eine wunderschöne junge Frau, die für den Samurai Aoyama Tessan arbeitet. Er versucht sie immer wieder zu verführen, doch Okiku weist ihn immer und immer wieder ab. Tessan versteckt einen der zehn wertvollen Teller, die Okiku für die Familie hütet und bittet sie, die zehn Teller aufzudecken. Doch egal wie oft Okiku die Teller zählt, es sind nur neun. Voller Reue entschuldigt sie sich bei Tessan, der anbietet ihr zu vergeben, sollte sie endlich seine Liebhaberin werden. Als Okiku erneut ablehnt, schmeißt er sie in den Brunnen, wo sie stirbt. Doch ihr Geist zählt weiter die Teller…

Bis hierhin war es Folklore, jetzt kommt der Rakugo-Teil. 😉

Jahre später hört ein junger Mann von Okiku. Angeblich wird jeder, der den Geist bis neun zählen hört, verrückt. Er beschließt also zu fliehen, wenn der Geist bei sechs Tellern angelangt ist. Als er den Geist Okikus sieht ist er von ihrer Schönheit fasziniert, schafft es aber dennoch, sich loszureißen bevor sie bis neun zählt.

Über die nächsten Wochen vollzieht er dieses Spiel immer wieder und bringt immer mehr Freunde zu dem alten Brunnen.Die Beliebtheit Okikus nimmt immer weiter zu, Zuschauersitze werden aufgestellt, über dem Brunnen wird ein Dach errichtet und Lebensmittelstände werden aufgebaut. “Okikus Tellerzählen” ist ein Showact geworden und Okiku erfreut sich an ihren Fans.

Der junge Mann, der Okiku zuerst wiederentdeckt hat, besucht das Spektakel und versucht wie üblich zu fliehen, sobald Okiku den sechsten Teller gezählt hat. Doch dieses Mal versperrt ihm die Menschenmenge den Weg nach draußen. Als Okiku bei neun angelangt ist verfällt er in vollkommene Panik, doch sie zählt weiter. Bei zwölf bemerkt er, dass es ihm noch gut geht. Okiku zählt schließlich bis 18. Daraufhin fragt er sie: “Warum hast du bis 18 gezählt, du hast doch sonst immer nur neun Teller?” “Ich habe doppelt so viele gezählt, weil ich morgen frei habe.”

Veröffentlicht in: Tokyo

0 Gedanken zu „Rakugo und Kimodameshi in Minami-Senju.

  1. Anika sagt:

    Herzlichen Glückwunsch zur 500!
    Ist für mich noch ein weiter Weg ^_-

    Rakugo ist toll!
    Habe es schon mehrfach auf Japanisch gehört, aber ein Meister macht auch manchmal eine Show mit englischen Nebentiteln. Er hofft so, Rakugo in der Welt bekannt zu machen.
    Ich kann es jedem wirklich auch nur empfehlen 🙂

    Und die Geschichten zu den Tempeln sind wahnsinnig interessant! Hätte ich auch gerne gehört. Und das Sento ist ja wohl mal Hammer *_*

    • Claudia sagt:

      Ich hatte Rakugo vorher noch nie Live gehört und fand es wirklich schön. 😀 Wie gesagt, vielleicht verirren wir uns doch mal nach Asakusa für’s “richtige” Rakugo. Mir fehlen eben leider Vokabeln und dann blicke ich nicht mehr durch… 🙁

      • Anika sagt:

        Rakugo versteht man auch ohne alles genau zu verstehen.. Zumindest bilde ich mir das ein, denn ich verstehe nun wirklich nichts XD
        Ich habe Rakugo schon an unterschiedlichen Orten gesehen und trage bei der Arbeit stolz mein Rakugo Matsuri Tenugui XD

  2. Gojira sagt:

    “Ich habe doppelt so viele gezählt, weil ich morgen frei habe.” – die Pointe ist echt klasse! 😉
    Toller Beitrag, den habe ich mir mal gebuchmarkiert.

  3. Viola sagt:

    Happy Jubiläum! 🙂
    Herzlichen Glückwunsch zum 500sten und schön viel Durchhaltevermögen für die nächsten 500! 😉

    Dieses Vortragen von Geschichten hört sich wirklich interessant an!
    Da hätte ich bestimmt auch Spaß gehabt, obwohl ich wohl kein Wort so richtig verstanden hätte! 😉

    LG,
    Viola

    • Claudia sagt:

      Anika hat kommentiert, und ich habe es auch schon anderswo gesehen, dass es auch Rakugo mit englischen Untertiteln gibt! Dadurch, dass die Geschichten gleich bleiben ist das wohl recht simpel, aber es geht sicher einiges durch die Übersetzung verloren. :/

  4. Shaoshi sagt:

    Echt interessant! Das erinnert mich daran, dass ich auch mal was zu Geistern in Shanghai schreiben wollte (bis jetzt habe ich nur einen Artikel über einen Park geschrieben). Aber auch an vielen anderen Orten soll es hier spuken.

    Interessant, dass dein Mann sich von den Geistergeschichten beeinflussen lässt. Meiner sträubt sich seit zwei Jahren, mit mir an einem Spukort zu fotografieren, aus Angst, dass was passieren könnte. Aber natürlich glaubt er nicht an diesen ganzen Mist 😉

    • Claudia sagt:

      Mein Mann glaubt absolut an allen Mist! Wenn ich skeptisch werde erzählt er mir gern die Geschichte von Freunden von Freunden, die in ein altes leerstehendes Haus, in dem es spuken soll, eingedrungen sind. Auf dem Heimweg sind wohl zwei gestorben, einer in einem Autunfall und einer ganz plötzlich.

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