Fließend?

Diese Woche hatte einer meiner Vorgesetzten ein Vorstellungsgespräch mit einem Bewerber – oder eher der Bewerber mit ihr. Weil ich natürlich etwas neugierig war, habe ich mir die Bewerbung angesehen. Darauf stand, dass der (nicht-japanische) Bewerber vor über einem Jahrzent den jetzigen JLPT N2, also die zweitschwerste Stufe des Japanischtests für Ausländer, bestanden hatte. Außerdem hatte er direkt dahinter geschrieben, er sei “fluent”, also “fließend”. Ich war folglich schwer beeindruckt.

Für mich selbst nehme ich nicht in Anspruch, fließend Japanisch zu sprechen. Zwar habe ich im Alltag absolut keine Probleme, und auf Arbeit wurde ich schon mehrmals gefragt, welcher meiner Elternteile denn eigentlich der japanische sei, aber so richtig 100% perfekt ist es nicht. Ich würde gern besseres Japanisch sprechen. Mit mehr Adjektiven und weniger Verbesserungen von meinem Mann.

Vielleicht will ich mich auch nicht überschätzen. Wenn man sich selbst ganz oben verortet, ist die Fallhöhe recht groß. Wenn ich tatsächlich von mir selbst annehmen würde, perfektes Japanisch zu sprechen, wäre es mir verdammt peinlich, wenn ich mal wieder Silben vertausche* oder nachfragen muss. So ist es mir übrigens auch peinlich. 😉 Zum Glück mache ich auf Deutsch nie Fehler oder verspreche mich. Nie!

* Vor einigen Wochen sagte ich zu meinem Mann statt 広島楽しみ!(Hiroshima tanoshimi!; Ich freu mich auf Hiroshima!) ひろしみたのしま! (Hiroshimi tanoshima!)… Jetzt fragt er mich mindestens einmal täglich, ob “Hiroshimi tanoshima?”

Nach dem Vorstellungsgespräch sprach ich kurz mit meiner Vorgesetzten, und meinte, dass das Japanisch des Bewerbers sicher total toll war.

Sie: Nicht wirklich. Auf einer Party ginge sein Japanisch sicherlich klar, auch wenn man mit ihm zusammen essen gehen würde – aber zum Arbeiten? Nein.

Das ist nämlich auch noch mal ein Unterschied, vor allem auf Japanisch. Höflichkeitssprache muss man stumpf pauken, Etikette auch. Sich mit Freunden zu unterhalten ist Welten davon entfernt, mit einem möglichen Geschäftspartner zu reden.

Ab wann würdet ihr euch eigentlich als “fließend” bezeichnen? Wenn es um Englisch geht, habe ich da nämlich gar keine Probleme, aber Japanisch…

Das Wort zum Mittwoch: マナー

wortzummittwochWenn Japaner etwas ernst nehmen, sind es:

マナー

マナー (Manā) kommt vom Englischen Manners, Manieren. Dabei geht es oft nicht um Tischmanieren oder wie man sich für Geschenke bedankt, sondern um das öffentliche Leben.

Tokyo hat ca. zwölf Millionen Einwohner, man trifft also fast überall auf große Menschenmassen. Ganz besonders in der Bahn ist man meist nicht allein, und die richtigen Manieren an den Tag zu legen macht die Fahrt für alle angenehmer. In den Metro-Stationen hängen deswegen die Poster, die ihr unten seht:

manners

Jeden Monat wird ein neues Plakat angebracht. Dabei geht es um eigentlich, zumindest in Tokyo, recht selbstverständliche Dinge: Erst alle aus der Bahn aussteigen lassen, bevor man einsteigt; großes Gepäck so verstauen, dass man niemanden stört*; nicht den Schirm in der Bahn ausschütteln; und natürlich das Schlangestehen am Bahnhof. Ich gebe zu, anfangs waren einige Sachen für mich ungewohnt. In der Bahn wird nicht telefoniert, man wird angehalten leise zu sein, etc. Das ist dann doch etwas anders als Berlin. 😉 Inzwischen verstehe ich die Regeln aber besser, und kann sie auch mehr wertschätzen. Leider funktioniert das mit der Einhaltung natürlich nicht bei allen einwandfrei – sonst bräuchte man diese Poster gar nicht.

* Das heißt Känguruh-Style die Tasche auf der Vorderseite zu tragen statt auf dem Rücken.

Wenn in Toyo die Manieren Berlins herrschen würde, wäre mein Weg zur Arbeit noch schlimmer. Für Berlin funktioniert das meist problemlos, aber mit den Massen die hier jeden Tag in die Bahn steigen…

Das Wort zum Mittwoch: 気絶.

wortzummittwochAus gegebenem Anlass mal ausnahmsweise ein Wort, das nichts mit speziell Japan zu tun hat. 🙂

Ich bin in letzter Zeit etwas kränklich. Letzte Woche hatte ich mir schon den Mittwoch freigenommen, weil ich mich erkältet hatte. Langsam ging es mir auch wieder besser, bis gestern. Am Morgen ging es mir noch relativ gut, als ich in die Bahn zur Arbeit stieg.

Nach den ersten paar Stationen ging es mir immer schlechter, und wollte nur noch sitzen. Leider wurde aber einfach kein Sitz frei. Fünf Stationen nach dem Anfang meiner Reise wurde mir plötzlich schwarz vor Augen, ich hatte ein Dröhnen in den Ohren und konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten.

気絶気絶 (Kizetsu) bedeutet “Ohnmacht”. Es besteht aus 気 (ki; Geist, Gefühl, Laune, etc.) und 絶 (zetsu; durchtrennen, jenseits, unterbrechen). Als Verb wird es mit する (suru; machen) gebildet, lautet demnach 気絶(を)する (kizetsu (wo) suru; ohnmächtig werden). Gebräuchlicher ist aber 気を失う (ki wo ushinau; wörtl. den Geist verlieren).

Ich wurde also kurz ohnmächtig. Irgendwie bugsierten mich aber meine Mitfahrer auf einen hastig freigemachten Platz – voll der Life Hack. Wenn man im Berufsverkehr sitzen will, muss man einfach nur ohnmächtig werden. 😀 *

* Scherz! Offensichtlich!

Wie genau das funktionierte, weiß ich nicht mehr. Nach dem Hinsetzen ging es mir langsam wieder besser, aber die Erinnerung an das ganze Geschehen wirkte mehr wie ein Traum.

Am Zielbahnhof angekommen ging ich erst einmal zum Arzt, war dann zwei Stunden auf Arbeit und ging wieder nach Hause. Der Arzt bescheinigte mir sehr niedrigen Blutdruck im Stehen, und ging davon aus, dass das zusammen mit der Hitze und den ganzen Menschen dazu geführt hat, dass ich umgefallen bin.

Aber immerhin, das war mein erstes Mal ohnmächtig werden. Mit schon 26 ist das doch gar nicht so schlecht?

Das Wort zum Mittwoch: 逆輸入.

mittwoch

Wie ihr vielleicht merkt, bin ich derzeit ziemlich in die Filme von Ghibli vernarrt. Ende Juli waren wir in der Roppongi Hills-Ausstellung, dann kaufte ich meinem Mann ein Schweinchen, nächsten Monat gehen wir zum Museum in Mitaka (三鷹)… Tatsächlich hatten wir aber keine einzige Ghibli-DVD zuhause.

Das Problem war, dass die DVDs in Japan unglaublich teuer sind. Unter 3,500¥ (ca. 31€) geht da selbst bei Amazon nichts – und wir wollten ja nicht nur einen Film kaufen. Was tut man also?

gyakuyunyuu

逆 (gyaku) bedeutet “umgekehrt”, “falschherum” und “rückwärts”; 輸入 (yunyū) ist “Import”. 逆輸入 (gyaku-yunyū) ist also “Rückwärtsimport” und bezeichnet, wenn man etwas, was aus dem eigenen Land stammt, aus einem anderen Land importiert. Also wenn man z.B. Ghibli-DVDs, ursprünglich aus Japan, beim deutschen Amazon kauft und nach Japan schicken lässt. 😉

Beim deutschen Amazon kostet eine DVD ca. 7,50€*, wir können also für den Preis einer japanischen DVD vier deutsche kaufen. Da ich noch einen 20€-Gutschein hatte, haben wir gleich sechs gekauft.

* Bei Sendungen ins nicht-europäische Ausland zahlt man keine Mehrwertsteuer.

ghibli

Ansonsten sieht man das Wort relativ häufig, wenn Leute Autos japanischer Hersteller, die nur im Ausland verkauft werden, nach Japan einführen. Oder wenn im Ausland bekannte und arbeitende japanische Schauspieler auch in Japan bekannter werden.

Habt ihr schon einmal etwas Deutsches aus dem Ausland bestellt? Und wenn ja warum?