Tokyoter Berufsverkehr und das Märchen von der sich nie verspätenden Bahn.

Alle Fotos von meinem Vater.

Fotos von meinem Vater.

7:50, ich verlasse das Haus in Richtung Bahnhof. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern Raben krähen, und ich werde auch heute wieder erleben, wie wenig Platz und Abstand zu Anderen so ein Mensch eigentlich benötigt.

Oben auf dem Bahnsteig fährt die Bahn in Richtung Stadt ein. Eine Menge Menschen steigen aus, wir wohnen an einem Umsteigebahnhof, eine Menge Menschen steigen ein. Ich auch.

Direkt versuche ich einen der guten Plätze zu ergattern. Wer einfach einsteigt und in der Nähe der Türen stehenbleibt, hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn er zu Tode gequetscht wird.

Die besten Plätze sind natürlich sämtliche Sitzplätze. Danach kommen die Stehplätze direkt davor. Danach die Stehplätze in der Mitte, also quasi in zweiter Reihe zu den Stehplätzen vor den Sitzplätzen. Je weiter weg man von den Türen kommt, umso besser. Außer man muss natürlich irgendwo aussteigen, wo niemand anders aussteigt. 😉

In den nächsten Stationen steigen nur immer mehr Menschen zu, kaum jemand aus. Die Bahn hat Verspätung, weil die Leute nicht in der vorgesehenen Zeit einsteigen. Sie sind so eng gepackt, dass die Türen wieder aufgehen. Mehrmals. Oder die Bahn ist zu spät, weil sie zu nah an der Vorhergehenden fährt, welche wiederum verspätet ist. Im Berufsverkehr fährt diese Linie alle drei Minuten.

IMGP0480Wenn es wirklich voll wird, werden auch die auf den zweitbesten Plätzen, also vor den Sitzplätzen, dermaßen von hinten geschubst, dass sie beinahe auf die Sitzenden fallen. Zu irgendeiner Zeit hat man mit Sicherheit den Ellenbogen eines Mitfahrers entweder in der Seite oder im Rücken, oder den Arm im Gesicht. Es ist, wie bei einem riesigen Konzert in der ersten Reihe zu stehen – nur, dass es keine Stars gibt und der Boden wackelt. Außerdem fährt man eigentlich grade zur Arbeit.

In 秋葉原 (Akihabara) steigen haufenweise Leute aus, dann heißt es einmal tief Luftholen, denn es werden genauso viele Menschen wieder einsteigen, bis es sich, genau eine Station vor meiner, endlich wirklich leert.

Diese Bahn fährt derzeit mit fünf Minuten Verspätung, wir entschuldigen uns für die Unanehmlichkeiten.

Mein Umsteigeweg ist nervig lang, 250m vom Obergeschoss ins vierte Untergeschoss, mit ständigem Gegenverkehr. Die Bahn in die ich als nächstes steige ist nicht so voll, wie die erste, aber weg von der Tür komme ich nicht wirklich. Nach fünf Stationen steigt zum Glück der Großteil der Passagiere mit mir zusammen aus, ich muss mich also nur von den Menschenwogen leiten lassen – bis man dann für die Treppe anstehen muss.

Es ist zwischen 8:40 und neun Uhr.

Immerhin habe ich im Büro viel Platz um mich auszubreiten. 😀

Meine neue Arbeit.

Nach einigen Bewerbungsgesprächen hat es letzte Woche endlich geklappt: Ich habe einen neuen Job. Der klingt an sich wenig spektakulär, ich bin Gruppen-Assistentin in der IT-Abteilung eines großen Unternehmens, aber es gibt viel zu lernen. Und lernen ist immer gut. 🙂

Aber noch einmal zurück. Vor einigen Monaten habe ich mich bei einer 派遣会社 (Hakengaisha; Zeitarbeitsfirma) angemeldet. “Zeitarbeit” klingt in Deutschland immer etwas nach Hilfsarbeiten auf Mindestlohnbasis, das ist hier etwas anders. Viele große Firmen setzen Zeitarbeiter zu einem anständigen Stundenlohn ein. Dennoch bin ich natürlich bei der Zeitarbeitsfirma angestellt und nicht direkt bei meinem neuen Job. Heißt, ich bin recht leicht ersetzbar.

Andererseits habe ich von meiner Zeitarbeitsfirma immer wieder Jobangebote bekommen, und wurde immer zu Bewerbungsgesprächen begleitet, was sehr geholfen hat. Außerdem gibt es viele Positionen in Unternehmen, die nicht öffentlich ausgeschrieben werden – meinen jetzigen Job hätte ich anders gar nicht gefunden. Ich hoffe natürlich trotzdem, dass ich irgendwann übernommen werde. 😉

IMG_1719Mein neues Büro ist in 六本木 (Roppongi), einem Teil Tokyos, den ich eigentlich nicht so mag. In Roppongi leben die, die viel Geld haben oder ihre Wohnung von der Firma gestellt bekommen, und alles ist sehr international und teuer. Ich mag mein japanisches Japan sehr gern. 😉

In der Firma sprechen die meisten auch Englisch, die Anträge laufen auf Englisch, weil es eine internationale Firma ist, aber untereinander wird lieber Japanisch verwendet. Muttersprache eben.

Die Kleidungsrichtlinien sind nicht übermäßig straff. Keine kurzen Hosen oder Miniröcke, keine Schlappen, keine Kleidung mit großen Logos von Mitbewerbern, keine freien Schultern. Das ist für ein japanisches Büro regelrecht lax.

Meine Mitarbeiter sind allesamt sehr nett und vor allem verständnisvoll wenn es darum geht, dass ich eben noch nicht alles kann. Dafür habe ich dann einen recht vollen Schulungskalender. Zum Glück hat meine Vorgängerin recht umfangreiche Dokumentation zurückgelassen, mit Beispielanträgen und worauf man achten muss. Ich habe die Dame zwar nicht kennengelernt, aber ich bin sehr dankbar. 🙂

Die Arbeitszeiten sind natürlich etwas anders als im Kindergarten, mein täglicher Arbeitsweg ist auch viel länger. Wenn es im Blog also etwas ruhiger werden sollte, wisst ihr warum. 🙂 Aber dafür kann ich demnächst endlich einen qualifizierten Eintrag über die Hölle Tokyoter Rush Hour schreiben. Yay!

Letzter Arbeitstag und Abschiedsfeier.

Letzten Freitag hatte ich meinen letzten Arbeitstag im Kindergarten. Es ist sehr eigenartig, weil ich dreieinhalb Jahre lang denselben Rhythmus hatte und plötzlich – nichts mehr.

Um ehrlich zu sein, weiß ich, dass ich die Kinder nicht vermissen werde. Nicht, weil sie so unglaublich schrecklich waren*, sondern weil ich auch den Kindern in der alten Schule keine Träne nachgeweint habe. Es ist eben letztendlich Arbeit.

* Aber doch schrecklicher als die Kinder in meiner alten Klasse.

Am Samstag fand die 送迎会 (Sôgeikai; Verabschiedungs- und Begrüßungsfeier) statt, erst drei Stunden essen und trinken, dann zwei Stunden Karaoke. Spaß hat’s gemacht. Meine Mitarbeiter mochte ich persönlich fast alle gern, auch wenn es manchmal vom Arbeiten her nicht perfekt gepasst hat.

Weil meine Eltern und meine Schwester am Dienstag nach Japan kommen und bei uns übernachten**, haben wir gestern stundenlang die Wohnung geputzt und aufgeräumt. Nicht, weil unsere Wohnung super dreckig wäre, aber es bleibt doch immer mal was liegen. Am Wochende geht es mit der Familie und meinem Mann nach 石垣島 (Ishigakijima), was eine wunderschöne Insel im Süden ist, und am 9. April fliegen sie wieder zurück.

** Wir ziehen derzeit zu den Schwiegereltern.

Ich denke aber, dass ich Zeit zum Bloggen finden werde! 😀 Yay!

Bewerbungsschreiben.

Derzeit bewerbe ich mich bei mehreren Firmen, habe tatsächlich auch zwei Angebote, leider noch nicht bei der einen Firma, zu der ich wirklich will.

Japanische Bewerbungsunterlagen sind etwas anders als Deutsche, weil ziemlich genormt. Um es simpel zu halten, schreibe ich hier über zwei verschiedene Dokumente. Das erste ist der Rirekisho (履歴書) oder Lebenslauf, den man in jedem Bücherladen und vielen Conbini kaufen kann.

rirekisho

Oben links trägt man seine persönlichen Daten ein: Name, Geburtstag, Geschlecht, Adresse und Kontaktinformationen. Darunter folgen die Angaben über Schule/Universität/Ausbildung (学歴), dann Arbeitserfahrung (職歴). Auf der rechten Seite folgen die Lizenzen und Qualifikationen (免許・資格). Ich schreibe z.B. meine ganzen Sprachzertifikate, aber dorthin würde auch der Führerschein gehören. 🙂 Das nächste ist von Format zu Format unterschiedlich, dieser hier hat viel Platz für Hobbys und Fähigkeiten (趣味・特技). In jedem Format ist dennoch das Motivationsschreiben (志望動機) enthalten. Motivationsschreiben sind schrecklich… Zum Schluss kommt noch ein Feld für Wünsche, wie z.B. wann man anfangen möchte zu arbeiten, wie weit der Weg zur Firma sein würde, wie viele Leute von einem abhängen und ob man verheiratet ist.

Insgesamt also recht viel Information, aber immerhin weiß man genau, was man schreiben soll. Nur blöderweise erwarten sehr viele Firmen, dass man mit Hand schreibt. Ohne Fehler. Ohne Tipp-Ex. Ich war schon mehrmals auf der rechten Seite angekommen, nur um dann im letzten Feld irgendeinen dummen Fehler zu machen… Zum Glück gibt es aber auch Firmen, die einen am Computer ausgefüllten Lebenslauf annehmen, vor allem die moderneren.

Alternativ haben viele größere Firmen auch ihr Entry Sheet (エントリーシート). Das sieht an sich dem obrigen Lebenslauf sehr ähnlich, ist aber auf die Firma abgestimmt. Man wird z.B. gefragt, ob man Auslandserfahrung hat, oder wird gebeten eine Situation zu beschreiben, in der man sich sehr angestrengt hat. Bei den Entry Sheets muss ich immer noch etwas mehr nachdenken, weil man für einige Fragen keine vorbereiteten Antworten hat.

Etwas hat dieses ganze Geschreibsel gebracht: Ich kann tatsächlich viel besser Kanji schreiben. 😀 Trotzdem bin ich froh, wenn es wieder vorbei ist…