Böse Claudia!

Wenn die Kinder nicht wollen wie sie sollen haben wir verschiedene Dinge, die wir ihnen androhen. Das fängt harmlos an mit “Wenn du dich nicht benehmen kannst musst du dich auf den Stuhl setzen.”

“Der Stuhl”, das ist ein kleiner gelber Winnie Pooh-Stuhl, der einzige seiner Art bei uns. Er steht am Rande des Spielbereichs, und wer sich darauf setzen muss darf kurzzeitig nicht mitspielen. Schrecklich! Leider ist “der Stuhl” manchmal nicht ausreichend, und wenn die Kinder sich auf Stühlen sitzend schon nicht ordentlich verhalten können, haben wir noch eine höhere Stufe: Den Babystuhl. Nichts ist für Dreijährige schlimmer als mit einem Baby verglichen zu werden.

Aus einer anderen Kategorie: “Wenn du dich jetzt nicht hinlegst und die Augen zumachst gibt’s keinen Snack.” Das scheint noch schlimmer zu sein, als wie ein Baby behandelt zu werden. Zumindest hinterlässt offenbar es Eindruck.

Bei uns bekommt jeder das gleiche Mittagessen. Manchmal sind da natürlich Sachen dabei, die manche Kinder nicht mögen. Einige beißen sich trotzdem durch*, andere überlegen sich, wie sie da rauskommen. Ein Junge aus meiner letzten Klasse (jetzt also bei einer anderen Lehrerin), tut seit einigen Tagen so, als wäre er schrecklich krank, sobald das Essen auf den Tisch kommt. Stehen wir gar nicht drauf, also wurde ihm gesagt, dass er, wenn er nicht ordentlich essen will, gern in meiner Klasse mit den kleinen Kindern essen kann. Kleine Tränchen bildeten sich in den Augenwinkeln des Jungen als ich dann ins Klassenzimmer kam um ihn “abzuholen”. Nach einer kleinen “So zu tun als wäre man krank ist doof”-Standpauke kam ich wieder zurück in meinen Klassenraum, wo mich folgender Chor empfang:

Claudia bekommt keinen Snack! Claudia bekommt keinen Snack!

Oha! Bekomme ich schon Ärger von kleinen Kindern. 😉 Im Moment sind einige eh in einer Phase, in der sie jedem erzählen, wie er sich zu verhalten hat, aber gegen mich?! Meuterei in der Nursery!

* Unter anderem ich. Ich trinke sogar die blöde Nattô-Suppe. Und esse den Fisch. Ich bin eine Kämpferin! Quatsch, ich glaube einfach, dass ich, wenn ich von den Kindern etwas verlange, das zumindest selbst einhalten sollte.

Als was arbeite ich eigentlich genau?

Nachdem die Frage in meinem letzten Eintrag aufkam, dachte ich mir, dass ich das vielleicht doch mal erklären sollte.

Japaner sind nicht dafür bekannt, besonders gutes Englisch zu sprechen, und weil viele Eltern das als Problem erkannt haben, schicken sie ihre Kinder in sogenannte 英会話教室 (Eikaiwa-Kyôshitsu; Lernzimmer für englische Kommunikation). Dort sollen sie von Muttersprachlern die Sprache beigebracht bekommen, meist mit einer oder zwei Wochenstunden. In so einem Verein unterrichte ich nicht. Das habe ich kurzzeitig gemacht und fand es furchtbar anstrengend und hatte keinen Spaß dabei.

Köpfe zusammenstecken beim Insektengucken.

Ich arbeite in einem internationalen Kindergarten, das heißt, dass die Kinder von zehn bis 14 Uhr auf Englisch unterrichtet und bespaßt werden. Wir haben je nach Alter vier unterschiedliche Klassen, die auf Englisch unterrichtet werden, mit vier verschiedenen Lehrern (drei Muttersprachlern und mir); außerdem eine japanische Klasse für die ganz kleinen Kinder.

Vor allem in meiner Klasse, mit den Zwei- bis Dreijährigen, geht es weniger ums stumpfe Pauken, als darum, Spaß an der Sprache zu finden und Englisch zu verstehen und sprechen zu wollen. Ich rede die meiste Zeit auf Englisch, wenn es etwas gibt, dass die Kinder unbedingt verstehen müssen, auch auf Japanisch, aber das ist sehr selten. Meine japanische Mitlehrerin redet mit den Kindern auf Englisch und Japanisch und mit mir auf Englisch (wenn die Kinder in der Nähe sind). Meine derzeit 17 kleinen Monster hören also jeden Tag vier Stunden lang Englisch und der ganze Ablauf erfolgt in der (Fremd-)Sprache.

Es gibt Dinge, die wir jeden Tag wiederholen (ABC, Zahlen, Wetter und Phonics (Laute)), und Phrasen, die wir immer wieder verwenden, aber ich versuche natürlich den Kindern auch immer wieder Neues beizubringen. Das klappt soweit auch ganz gut, ich bekomme nur immer wieder neue Zweijährige in die Klasse, die natürlich noch nicht so weit sind und das gesamte Tempo herunterziehen. Die meisten Kinder verstehen sehr gut was ich will, ich versuche mich auch so einfach wie möglich auszudrücken, und haben Spaß am Lernen. Der ABC-Song ist auch reinster Rock’n’Roll. 😉

Außerdem bringen wir ihnen ganz grundlegende Dinge bei, zum Beispiel sich ordentlich die Hände zu waschen, sich selbst anzuziehen, ordentlich aufzuräumen, Tischmanieren (soweit es geht), und generell friedliches Beieinandersein. In meiner Klasse wird ihnen noch nicht das Schreiben beigebracht, wir bereiten sie aber darauf vor. Eigentlich ist das unsere Hauptaufgabe: Die Kinder auf die nächste Klasse, in der’s ans Eingemacht geht, vorbereiten. Meist macht es Spaß, manchmal ist es aber auch eine Woche durchgehend nur anstrengend.

Anders als meine ausländischen Mitarbeiter arbeite ich nicht Vollzeit, sondern nur fünf Stunden am Tag, da ich als Nichtmuttersprachlerin schrecklich bezahlt werden würde. So ist es ein überdurchschnittlich gut bezahlter Job, zumal ich jeden Tag die gleichen Arbeitszeiten habe und mit den gleichen Kindern zu tun habe. Um es in Zahlen zu fassen* verdiene ich in einem durchschnittlichen Monat ca. 1450€ und bekomme das Geld für meine unglaublich teure Monatskarte (fast 300€) erstattet.

Eine Ausbildung in die Richtung habe ich übrigens nicht, meine Mitlehrerin schon.

* Damit hat man spannenderweise in Japan auch ein viel kleineres Problem als in Deutschland.

Elterngespräche.

Im Moment finden auf Arbeit Elterngespräche statt. Ich habe selbst keine Kinder und weiß nicht, ob es für die Eltern ganz wichtig ist, aber mir wäre es bei den meisten Kindern lieber, ich könnte ihnen einfach etwas Kleines ins Muttiheft kritzeln und nur die, wo wirklich mal mit den Eltern gesprochen werden sollte, einladen.

Meine jetzige Gruppe ist nämlich ziemlich toll. Natürlich super anstrengend, aber hey, welche 17-köpfige Gruppe von Zwei- bis Dreijährigen ist das nicht? Aber sie lernen schnell, benutzen Englisch tatsächlich auch von sich aus* und streiten kaum. Sehr entspannt, und die Kinder, die noch nicht ganz auf der Höhe sind, sind meist einfach noch zu jung und werden das Level in ein paar Monaten auch erreicht haben.

Solche Gespräche sind also nach fünf Minuten eigentlich vorbei, irgendwie versuchen wir aber mindestens 20 Minuten zu füllen, damit die Eltern nicht für nichts gekommen sind, und die Gespräche verlaufen im Kreis. Etwas nervig, zumal es bei den Kleinen dann hauptsächlich um ihr Toilettenverhalten geht.

Der Großteil der Gespräche ist jetzt aber vorbei. Am Mittwoch “durfte” ich bis 19 Uhr auf Arbeit sein, um vier Gespräche nach 17 Uhr abzuwickeln, aber auch das haben wir (meine japanische Mitlehrerin und ich) überlebt und nächsten Donnerstag sind dann endlich alle Termine abgearbeitet. Freiheit!

* Die Sätze, die zustande kommen, sind natürlich absolut unvollständig oder mit Japanisch versetzt, aber damit habe ich kein Problem. Das klingt dann so:

Claudia, yellow flowerがたくさんあるよ! (Claudia, da sind viele gelbe Blumen!)

Claudia, YuutoがPunchingしてる! (Claudia, Yuuto schlägt!)

Käfer-Attacke.

Nur eine kurze Beobachtung, ich bin nämlich sehr beschäftigt müde.

In meiner aus 16 Kindern bestehenden Gruppe gibt es keinen Konsens und keine mir verständliche Logik darüber, was ein gruseliges Insekt ist und was nicht. Zum Sommeranfang gab es im Kindergarten-Garten Rollasseln und anderes Geviech, die waren total super und nach ihnen wurde sogar gesucht, um sie einzufangen. Ameisen kann man auch super beobachten und ihr Haus zerstören, bevor Claudia ihnen das verbietet*. Tote Zikaden (monströse Viecher!) kann man mir auch mal als Geschenk vorbeibringen.

Sobald man aber drinnen ist, und sich eine kleine Fliege durchs Zimmer stiehlt, geht das Geschrei los. “虫!虫!” (“Mushi! Mushi!” “Insekt! Insekt!”**) aus allen Mündern und es ist kein vernünftiger Unterricht mehr zu machen, außer man lenkt die Kinder  geschickt ab und die Fliege zieht von dannen.

Seit einiger Zeit haben wir kleine Schmetterlinge im Garten, die ich mit den Kindern anschaue. Regel Nummer 1: Nicht anfassen, sonst fliegen sie weg. Da halten sich überraschenderweise auch alle dran. Wenn der Schmetterling aber gelangweilt ist und trotzdem weiterfliegt gibt es eine Aufregung, als würde er Blut saugen und sich auf der Suche nach einem Opfer befinden.

Merke: Viecher, die man aus dem Boden ausbuddeln muss sind okay. Riesige Ekelviecher eignen sich super für Geschenke. Fliegen und Schmetterlinge sind der fliegende Tod.

Und dann habe ich natürlich noch das eine Mädchen, das anfängt panisch zu schreien, sobald ein Insekt sie berührt, oder sie glaubt, berührt worden zu sein.

*Respekt vor Lebewesen usw. War natürlich als Kleinkind selbst nicht besser.

** An dieser Stelle möchte ich kurz darauf hinweisen, dass Japaner sich am Telefon nicht mit “Muschi Muschi” melden. War, als ich Teenager war, ein gängiger Irrglaube. Es heißt richtig “Moshimoshi”. “Mushi” wird auch nicht wie “Muschi” gesprochen. Damit wir das mal durchhaben.