Hier bleiben oder doch…?

Ich mag Japan. Ich wohne gerne hier. Tokyo ist so sicher, dass man auch nachts um zwei betrunken drei Stunden lang nach Hause laufen kann ohne nur einmal doof angemacht zu werden. Tische in Cafés reserviert man, indem man seine Tasche oder gleich sein Handy auf den Tisch legt. Normalerweise kommt hier nichts weg. Alles schon ausprobiert, ich will gar nicht mehr zählen, wie oft ich Sachen in der Bahn vergessen und wiederbekommen habe.

Jeden Tag im Jahr kann ich hier einkaufen, meist von elf Uhr vormittags bis zehn Uhr abends, wenn nicht gar länger. Conbini haben 24 Stunden am Tag geöffnet. Die Bahn ist meist pünktlich.

Wir haben keine finanziellen Sorgen. Wenn wir uns überlegen, dass wir in drei Wochen in den Urlaub fahren wollen, können wir das einfach so machen. Ich weiß, große Überraschung, aber die meisten Japaner in unserem Alter fahren nicht viermal im Jahr in den Urlaub. Natürlich, ein Auto können wir uns nicht leisten, aber das ist eh keine Priorität. Natürlich werfen wir kein Geld zum Fenster hinaus und wir schauen schon, dass wir nicht das teuerste Zeug kaufen, aber das macht so gut wie jeder, denke ich.

Ich habe ein recht einfaches Leben. Derzeit arbeite ich fünf Stunden am Tag, habe bis auf zwei oder drei Samstage im Jahr jedes Wochenende und jeden Feiertag frei. Natürlich, die Arbeit ist anstrengend und oft bin ich nach diesen fünf Stunden total geplättet, aber ich komme in eine schöne Wohnung nach Hause, kann mich mit Freunden treffen, habe Privatunterricht für Koreanisch* und trage ebenso hübsche wie teure Kleidung.

* Obwohl ich das dieses Jahr etwas herunterschrauben möchte. Zweimal im Monat sollte reichen.

Mein Mann hingegen hat nicht so ein einfaches Leben. Ich kann gar nicht zählen, wie oft er sagt, dass er den japanischen Arbeitsalltag nur durchhält, weil ich zuhause auf ihn warte. Er verlässt das Haus spätestens um sieben Uhr am Morgen und kommt frühstens um sechs Uhr abends wieder. Das ist wirklich wenn er wenig zu tun hat. Wenn es viel ist schlafe ich manchmal schon bevor er nach Hause kommt. Wenn es richtig viel ist, übernachtet er in einem Hotel in der Nähe seiner Arbeitsstelle. Sein Wochenende besteht wenn dann aus einem freien Tag. Fast jeder, der nicht im Service-Bereich arbeitet, hatte am Ende dieses Jahres neun Tage frei. Mein Mann hatte sechs.

Deswegen will mein Mann raus. Raus aus dem Job ist nicht ganz so einfach, zumal seine derzeitige Firma noch zu den Guten zählt. Schließlich bekommt er die meisten seiner Überstunden bezahlt. Er will also nach Europa. Für uns beide wäre das einfachste natürlich, nach Deutschland zu gehen. Idealerweise würde ich gern nach Schweden umziehen**, aber das ist unrealistisch. 😉 Er verspricht sich von dem Umzug, dass er weniger arbeiten muss. Dummerweise hat er aber noch nie im Ausland gelebt und kalkuliert nicht ein, dass so etwas auch komplett nach hinten losgehen kann.

** Grund: Vereinbarkeit von Arbeit und Familie.

Ich habe Angst, dass unser Lebensstil in Deutschland nicht haltbar wäre. Es ist für mich in Japan sehr bequem. Wenn ich nur an mich selbst denken würde und mein Mann mir egal wäre, würde ich auf jeden Fall in Japan bleiben. Nun bin ich aber nicht ganz herzlos, und ich sehe jeden Tag, wie sehr mein Mann unter der Arbeit leidet. Wir müssen uns also überlegen, was wir machen.

Nach Deutschland? Hier bleiben? Etwas ganz anderes? Das wird uns noch einiges Kopfzerbrechen bereiten.

Sprich. Doch. Einfach. Japanisch.

Dass einem als Ausländer meist nicht zugetraut wird, dass man Japanisch spricht, habe ich schon mehrmals erwähnt. Die meisten dieser Leute ändern ihre Meinung aber, wenn man tatsächlich anfängt Japanisch zu sprechen.

Bis auf ein paar ganz besondere Individuen, die mich an der Menschheit zweifeln lassen.

① Ich bin mit meiner Suica zu weit gefahren, muss also die Karte aufladen, bevor ich den Bahnhof verlassen kann. Kein Problem, ich nähere mich dem Automaten, als ich feststelle, dass an der Rückseite gerade jemand herumbastelt.

Ich (auf Japanisch): Entschuldigung, kann man den Automaten verwenden?

Er: NO NO! MANEE? MANEE?

Ich (auf Japanisch): Bitte was?

Er: Manee!! (Aus seinen Handbewegungen wird klar, dass er wissen will, ob ich schon Geld in den Automaten gesteckt habe. マネー (manê) ist die japanische Schreibweise für’s englische Wort “money”)

Ich (noch immer auf Japanisch): Nein, ich habe kein Geld reingesteckt.

Er (zeigt auf einen anderen Automaten): Go, go.

② Ich bin in irgendeinem Klamottenladen in Shinjuku und habe Fragen.

Ich (auf Japanisch): Gibt’s das auch in einer anderen Farbe?

Er: Colour black only.

Ich (auf Japanisch): Im Internet habe ich gesehen, dass es das auch in Dunkelblau gibt.

Er: Blue is sold out.

③ Auf Arbeit habe ich jemandem vom Hauptbüro schriftlich nach Dokumenten gefragt. Beinahe zwei Wochen später bekommt meine Managerin einen Anruf und reicht mir das Telefon.

Frau S.: Hi Claudia, I just saw (blablablablabla). (Frau S. spricht zwar etwas Englisch, aber ich habe Probleme zu verstehen, was sie von mir will. Wir haben schon mehrmals auf Japanisch miteinander gesprochen.)

Ich (auf Japanisch): Wir können auch auf Japanisch reden?

Frau S.: So Matt will write and send to you?

Ich: Sure…

Am nächsten Tag erhalte ich wieder einen Anruf von ihr.

Frau S.: So Matt finished paper, I’m in Ichikawa all day, can you pick up?

Ich (auf Japanisch): Ich muss heute zum Arzt.

Frau S.: So, can you come before?

Und an dem Punkt gebe ich einfach auf und rede Englisch mit ihr. Obwohl Japanisch für uns beide einfacher wäre. Letztendlich beschließen wir, dass sie mir die Papiere in den Briefkasten wirft und weil ich ihr aber partout auf Englisch nicht erklären kann, wo genau denn unsere Wohnung ist, schreibe ich ihr später eine Mail. Auf Japanisch.

Kommentar meiner Mitarbeiterin Lucie:

“Warum kann sie nicht einfach Japanisch mit dir sprechen?”

Das wüsste ich auch gern.

Ich höre auch immer wieder Geschichten von Leuten, die die ganze Zeit Japanisch sprechen, während ihr Gegenüber die ganze Zeit darauf beharrt kein Englisch zu verstehen. Da überschreibt die Information “EIN AUSLÄNDER!” die von den Augen kommt wahrscheinlich was durch die Ohren im Hirn ankommen sollte.

Zumal die darauf folgenden Versuche Englisch zu sprechen oftmals derart krepelig sind, dass eine Kommunikation eh nicht möglich ist. Ach Japan.

Comic Essay: Hundert Probleme.

Während in Deutschland vor allem Manga bekannt sind, gibt es in Japan auch noch andere gezeichnete Werke. Ganz besonders mag ich Comic Essays (コミックエッセイ). Das sind persönliche Geschichten, in Comic-Form. Meist sind die einzelnen Kapitel sehr kurz und leicht zu lesen, ich würde sie deswegen für jeden empfehlen, der anfangen möchte auf Japanisch zu lesen und sich von Romanen etwas eingeschüchtert fühlt.

Zu den bekanntesten gehört 日本人の知らない日本語 (Nihonjin no shiranai Nihongo; Japanisch, das Japaner nicht kennen), über eine Japanischlehrerin und ihre Schüler. Dieser Comic wurde auch fürs Fernsehen adaptiert, teilweise kann man das auf YouTube sehen. 🙂 Auf der Seite des Verlags kann man sich Auszüge ansehen.

Ein anderer Comic aus der Ecke ist ダーリンは外国人 (Darling ha Gaikokujin; Mein Schatz ist Ausländer), in dem die Autorin über ihr Leben mit ihrem Amerikanischen Ehemann erzählt. Auch dieser Comic wurde adaptiert, sogar für’s Kino.

Nachdem ich am Montag nach ハーフ Hafu aus dem Kinosaal kam, sah ich einen Comic Essay namens ニッポン存在ハーフな私の切実で笑える100のモンダイ (Nippon-sonzai Hāfu no watashi no setsujitsu de waraeru 100 no mondai; 100 Probleme, über die man ernsthaft lachen kann, die ich als in Japan lebende Halbjapanerin habe) im angeschlossenen Laden und habe ihn mitgenommen.

hon-mangaGeschrieben wurde das Buch von Sandra Häfelin, Tochter eines Deutschen und einer Japanerin, aufgewachsen in Deutschland und später nach Japan übergesiedelt.

Im Buch beleuchtet sie die Probleme, die sie als Halbjapanerin hat, und zeigt, dass nicht alle Halbjapaner schön, extrovertiert und zweisprachig sind. Die kurzen Geschichten sind wirklich lustig und interessant und nach jeder gibt es eine kleine Kolumne, in der Sandra noch einmal tiefer auf die Thematiken eingeht und teils auch Japan und Deutschland einander gegenüberstellt. Es geht aber nicht nur um Halbdeutsche, sondern es kommen auch viele gemischte Japaner mit anderen Wurzeln vor.

Auch hier gibt es auf der Seite des Verlags Leseproben.

Weil ich natürlich immer alles auf mich beziehen muss, sind mir so einige Parallelen aufgefallen. Genau wie Sandra im Buch werde ich bei Trinkveranstaltungen mit Japanern immer gefragt, ob ich kein Bier trinken möchte (nein!). Außerdem ist “Kannst du Nattō essen?” (nein!!!) eigentlich immer unter den ersten drei Fragen, die mir gestellt werden. 😉

Auf Amazon Japan ist übrigens die einzige Bewertung (ein Stern) folgende: “Die Autorin schreibt zwar über sich, dass sie ein Ausländer-Gesicht hat, aber für mich sieht sie nur aus wie eine Japanerin. Vielleicht sieht sie mehr wie Halbjapanerin aus, wenn man sie wirklich sieht?” Aha. Ich liebe solche hilfreichen Amazon-Kommentare ja.

Filmzeit: Halblinge.

Am Montag war ich im Kino um eine Dokumentation zu sehen. Während ich ein großer Fan von Dokumentationen bin, sehe ich sie meist eher zuhause, aber für diesen Film hat sich die weite Fahrt nach Shibuya gelohnt. Die ganze Thematik ist natürlich für mich hochinteressant, aber zum Glück war der Saal nicht nur mit Ausländern und Halb-Japanern gefüllt, die es wirklich persönlich angeht. Die müssen schließlich nicht mehr bekehrt werden. 😀

(Falls sich jemand denken sollte “Du bist doch aber ganz deutsch!”: Jaja, und mein Mann ist ganz japanisch. Preisfrage: Was werden unsere Kinder? ;))

 

OIS

©ユナイテッドピープル

ハーフ Hafu (2013) (Trailer)

 

Regisseur: Nishikura Megumi

Der Film folgt vier Einzelpersonen und einer Familie (im Foto) mit gemischten Wurzeln und zeigt, welche Bedeutung diese Wurzeln für sie haben und vor welche Herausforderungen sie gestellt werden. Gezeigt werden Sophia, die in Australien geboren ist und als Erwachsene zum ersten Mal nach Japan zieht, David, der in Japan Spenden für einen Kindergarten in Ghana, dem Heimatland seiner Mutter, sammelt, Ed, der als Sohn eines Venezolaner und einer Japanerin in Kansai ein Netzwerk für gemischte Familien aufbaut, Fusae, der erst mit 15 Jahren verraten wurde, dass sie halb-koreanisch ist und die Familie Ôi mit ihren zwei halb-mexikanischen Kindern.

Persönliche Meinung: Ich bin fest davon ausgegangen, dass ich mir die Augen ausheulen würde, weil der Trailer irgendwie in die Richtung ging, aber es gab viele Stellen, an denen der ganze Saal gelacht hat und ich brauchte meine Taschentücher gar nicht. Der Film hat natürlich eine starke Aussage, die meisten Beteiligten sowie auch die Regisseurin sind Halb-Japaner und möchten Japanern näherbringen, dass “anders sein” nicht mit “schlecht sein” gleichzusetzen ist. Weniger “nur ein halber Japaner” und mehr “Japaner mit noch etwas mehr” eben. Für mich persönlich ist das natürlich auch eine wünschenswerte Message, und ich würde mich komplett dafür einsetzen, den Film allen Mittel- und/oder Oberschülern im Unterricht zu zeigen. Er ist für Japan wichtig. Das Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen und man wird sich langsam aber sicher mit der immer weiter wachsenden kulturell vielfältigen Bevölkerung auseinandersetzen müssen, vor allem in Tokyo.

Nach der Vorstellung kam auch die Regisseurin kurz vorbei um Fragen zu beantworten, was mich sehr gefreut hat.

Der Film läuft noch bis zum 18. Oktober im Uplink in Shibuya. Im deutschsprachigen Raum läuft der Film am 13. Oktober im Alternativkino in Zürich und am 24. Oktober im Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin. Seht ihn euch an! Los, los, Tickets vorbestellen!

Eine DVD ist angekündigt und kann dann sicher über die offizielle Seite bezogen werden. Dort findet man auch weitere Informationen zu Vorführungen.