Nachdem ich letzten Oktober in Kyoto war, beschlossen wir im November nach Nara zu fahren. Der Grund war einfach: Wir spekulierten darauf, dass wir die lange Bahnreise von Tokyo mit Bocchan gut hinter uns bringen und dann in Nara, wo alles sehr nah beeinander liegt, eine ruhige Kugel schieben können würden.
Ich werde mich kurz vorweg ausheulen und euch danach davon verschont lassen, aber: Es lief natürlich nicht so, wie wir uns das erhofft hatten. Für meinen Mann ist es schrecklich anstrengend, mit Bocchan die öffentlichen Verkehrsmittel zu verwenden, weil er sich ständig einen Kopf macht, ob wir niemanden belästigen. Bocchan hat natürlich außerhalb seiner gewohnten Umgebung immer erst nach riesigem Theater Mittagschlaf gemacht. Unterwegs keinen Rückzugsraum zu haben, war ermüdend. Wir werden also vorerst wahrscheinlich eher mit dem Auto vereisen.
Trotzdem war Nara natürlich nicht nur Stress. Wir haben viel gesehen und auch viele schöne Erinnerungen gesammelt. Aber anfangs hatten wir doch ein wenig Sorge, ob das wirklich so eine gute Idee war…
Der Shinkansen von Tokyo nach Kyoto war nämlich vollständig besetzt. Niedrige Corona-Zahlen und ein langes Wochenende hatten die Leute scheinbar davon überzeugt, das Land zu bereisen. Dabei wollten wir doch ein einigermaßen leeres Nara!
Am Bahnhof Kyoto stiegen die meisten aus, wir auch. In die Bahn nach Nara stiegen dann aber auch so viele Leute, dass man eng an eng stehen musste. Nara war aber gar nicht ihr Ziel – Sondern ein kyototer Tempel, der im Herbst wohl ganz besonders schön sein soll, und auf dem Weg lag.
Mehr: Kyoto: Der lange Weg zum Kiyomizu-Tempel.
Glück gehabt!
Nara hatte ich bereits zweimal besucht – 2009 und 2010 – aber jeweils nur als Tagesausflug und eigentlich hatten wir nur die größte Sehenswürdigkeit der Stadt gesehen: Den Tōdai-Tempel (東大寺 Tōdai-ji). Mit dem fingen wir diesmal dann auch an.
Den Tempel gibt es seit 738, auch wenn die Gebäude natürlich nicht aus dieser Zeit stammen. Er ist dafür bekannt, dass in seiner Konstruktion keine Nägel verwendet wurden und den größten Bronze-Vaicorana-Buddha der Welt zu behausen.
Wir neigen oft dazu, vergangene Generationen als simpler zu sehen – im Positiven wie auch im Negativen. Komplexe Gebäude in der Größenordnung wie der Tōdai-Tempel erinnern mich immer wieder daran, dass die, die vor uns kamen, mindestens genau so schlau waren wie wir. Anders lässt sich eine dermaßene Handwerks- und Baukunst nicht erkären.
Wir waren hier sehr froh, neben dem Kinderwagen auch die Trage mitgenommen zu haben. Viele ältere Gebäude sind, wie wahrscheinlich auch anderswo, nur begrenzt Baby-freundlich. Bocchan kam also zwischendurch immer wieder in die Trage.
Noch bekannter als der Tōdai-Tempel sind die Rehe Naras. Rehe sind, neben einigen anderen Tieren, Boten der Götter. Der Legende nach kam der Gott Takemigazuchi auf einem weißen Hirsch nach Nara geritten, heute wird er im Kasuga-Taisha (春日大社) verehrt. Die Rehe sind Wildtiere, haben aber meist keine Angst vor Menschen und lassen sich streicheln und vor allem füttern. Manchmal betteln sie dabei sehr aggressiv, man sollte sich auf jeden Fall in Acht nehmen.
Ein weiterer Grund, warum wir von den Rehen diesmal ein wenig Abstand gehalten haben, war die Brunftzeit. Im Herbst soll man vor allem den Hirschen nicht zu nahe kommen. Die meisten anderen Touristen hatten diese Info aber scheinbar nicht erhalten.
Die Rehe offenbar auch nicht, beim Herumlaufen in der Stadt kann es einem nämlich schnell passieren, dass plötzlich ein Reh vor einem steht.
Es hält sich übrigens das Gerücht, dass es drakonische Strafen gäbe, wenn man eines der Rehe überfährt. Dem ist aber nicht so, die Tiere werden vor dem Gesetz genau gleich behandelt wie andere Rehe in Japan. Aber wenn die Gerüchte dazu führen, dass die Leute sorgsamer fahren, stört das die Rehe sicher auch nicht.
Wie alles in Nara liegen Tōdai-Tempel und der oben bereits erwähnte Kasuga-Taisha nah beieinander. Zwischen ihnen liegt der Nara-Park, der im November in den schönsten Herbstfarben strahlte. Mit dem Wetter hatten wir an den ersten beiden Tagen wirklich großes Glück und mit der Jahreszeit sowieso. Außerdem war die Menge der Touristen wirklich noch angenehm, auch wenn es dem ein oder anderen auf den Fotos bereits viel erscheinen mag. Vor Corona war die Stadt proppevoll!
Auf dem Transparent über dem Weg stehen übrigens die Corona-Verhaltensregeln: Maske tragen, Abstand halten, leise sein.
Wie bei vielen großen Schreinen ist der Weg, bis man beim eigentlichen Schrein angekommen ist, ziemlich lang. Leider hat man sich auch beim Kasuga-Taisha dazu entschieden, den Weg mit Kies auszustatten, was mit unserem Kinderwagen eine ziemliche Tortur darstellte. Im Gegenzug hatte das Geruckel aber Bocchan in den Schlaf gewiegt, weswegen mein Mann und ich uns den Schrein abwechselnd ansehen konnten.
Der Kasuga-Taisha ist der Hauptschrein der etwa 1000 Kasuga-Schreine im Land und wurde 768 erbaut. Heute gehört er, wie auch der Tōdai-Tempel, zum Unesco-Weltkulturerbe.
Von dem Schrein sind mir vor allem zwei Dinge im Gedächtnis geblieben: Wie viele Kisten zum Beten und Geld spenden auf dem Gelände stehen und wie schön die Laternen, die auf dem ganzen Gelände hängen, sind. In einem Raum auf dem Gelände kann man bestaunen, wie das alles im Dunkeln aussehen würde.
Auf dem Weg zurück zum Nara-Park wachte Bocchan auch langsam auf. Wenn man mit einem Kleinkind unterwegs ist, sind die vielen offenen Flächen in Nara wirklich unglaublich praktisch. Im Nara-Park konnten wir Bocchan einfach herumlaufen lassen, ohne uns große Sorgen machen zu müssen.
Um den Tag ausklingen zu lassen, liefen wir zum Kōfuku-Tempel (興福寺 Kōfuku-ji), einem der sieben großen Tempel Naras. Falls sich jemand wundern sollte, warum es ausgerechnet in Nara so viele große Tempel und Schreine gibt: Nara war kurzzeitig Japans Hauptstadt. Die großen Tempel und Schreine wurden während dieser Zeit in Nara errichtet.
Zum Kōfuku-Tempel gehören verschiedene Gebäude, darunter große Hallen und Pagoden. Mich erinnerten die Gebäude irgendwie ein wenig an Taiwan.
Die Zentrale Goldene Halle (中金堂 Chūkondō) ist das neueste Gebäude auf dem Gelände, sie wurde erst 2018 rekonstruiert.
Die Gebäude beherbergen verschiedene Nationalschätze Japans, aber wir begnügten uns damit, lediglich die Architektur zu bestaunen. War aber auch fotogen und atmosphärisch. 😉
Um den Weg zurück zum Hotel bestreiten zu können, kaufte ich mir noch schnell ein Taiyaki und dann war der erste Tag für uns touristisch auch schon gelaufen.